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Donnerstag, 13. März 2008
"Auf zur Elbe", sagtest du immer und wir anderen nickten bekräftigend, denn wo kann es schöner sein, als am Wasser. Vom Balkon aus blicke ich heute den Schiffen nach, den Schleppern, den Möwen, den Wolken - und dann verliere ich mein Herz an unsere Familienstadt. Ich weiß, dass ich bald wiederkomme und irgendwann auch bleiben werde. Eine Wiederkehr ohne je Fortgegangen zu sein.
Wir sind der Rest und wir werden aufeinander achtgeben, versprochen. Ich behalte deine drei Männer im Auge und passe auf Mama auf. Dein Großer ist in guten Händen, hat seine Frau an der Seite und deinen Enkel an der Hand. Dein Kleiner wird mich und Mama behütend beobachten und deinem Mann die größte Stütze sein. Dafür halten ihn seine großartigen Freunde fest an beiden Händen. Und dann sind da noch die Schwaben, die ringsherum ihre Liebe versprühen und uns am liebsten alle hier beieinander sehen würden. Ich spüre ganz genau, dass wenn wir nur alle zusammenhalten, dann geht das schon, dann weinen wir nur um dich und nicht um uns.
Zum Abschied werfe ich rote & weiße Rosenblätter auf dein Grab, mit all den Küssen bedeckt, die ich dir nicht mehr geben konnte. Ich mag nicht bereuen, was ich nicht getan habe. In meinem Herzen bist du immer, Lieblingstante.
Mittwoch, 12. März 2008
Menschen hier und Menschen da. Sie sind überall um mich herum, wo ich auch hinsehe, ob ich mich drehe oder die Hände vor mein Gesicht halte. Unzählige, ungeahnt viele. Einer reicht mir die Hand, andere tragen mich auf Händen, halten und drücken mich, streichen mir über's Haar oder blinzeln mir aufmunternd zu, grinsen mir ins Gesicht, lachen mich an und teilen ihr Glück mit mir. Einige wenige strecken mir die Zunge heraus oder knuffen mich in den Rücken, die blöden Spielverderber. Aber die anderen, die Guten, sind in der Überzahl und lassen mich die Zungerausstrecker und Knuffer aushalten und schließlich vergessen. Vielleicht hätte ich diese vielen Menschen schon früher sehen können, sie viel früher bemerken müssen. Aber ich saß auf meinem Bettrand, schaute auf den sommerlich blühenden Baum im Hinterhof, auf die saftig grünen Blätter, die mit der Zeit erst gelb und dann braun wurden, bis sie schließlich hinab fielen und die Pflastersteine im Hof bedeckten. Die Äste wurden kahl und plötzlich sah ich von meinem Schlafzimmer aus in die Küche meiner Nachbarn, weshalb ich schnell die Vorhänge zuzog und mich in meinem Bett ganz klein zusammenrollte, die Decke über den Kopf zog, die Nase im Kuschelkissen vergrub und wünschte, in ewigen Schlaf zu versinken. Dann brachte der Winter ein wenig Schnee, unschuldig weiß und bitterkalt und ich sah wieder zu den gelb erleuchteten Fenstern hinüber, betrachtete die vergilbten Gardinen und die vertrocknete Topfpflanze auf dem Fensterbrett, witterte irgendwo dort draußen eine Prise Leben und legte meine heiße Wange sehnsüchtig an die kalte Fensterscheibe.
Irgendwann in dieser Zeit, irgendwann nach Weihnachten und vor Silvester entschied ich mich für das Leben. Für mein Leben. Und die Entscheidung schmerzte, weil sie ein Eingeständis des Vergangenen war, was nicht in Worte gefaßt werden kann, weil dort nur ein dunkles und schmerzendes Nichts ist.
Zweieinhalb Monate später weiß ich, dass die Entscheidung richtig war. Anstrengend, aber notwendig. Und dass sie glücklich macht. Denn um mich herum sind Menschen, die mir vielleicht schon vor Monaten oder Jahren die Hand entgegenstreckten und die ich vorzog zu übersehen, auf keinen Fall aber hätte nehmen können. Auch jetzt tue ich mich schwer damit, hole die Kraft lieber aus meinem Inneren, aus dem was ich in mir sammle, Tag für Tag. Es wundert mich, dass überhaupt noch Energie da ist, nachdem ich meine Lebensfreude so verschwenderisch verpulvere. Jeden Tag rechne ich mit dem Ende, damit, dass alles aufgebraucht ist. Aber dann geht es weiter, heute und morgen und übermorgen und vielleicht sogar noch in der nächsten Woche, während ich staunend und grinsend in die Welt blicke und mich wundere. Einfach nur wundere. Über mich.
Immerhin ziemlich bis sehr gut.
Ich bin vielleicht sicher, dass ich mich wieder verlieben könnte, wenn ich wollte.
Samstag, 8. März 2008
Die Zeit hastet mit schnellen Schritten an mir vorbei, und schwupps, sind die kleinen Kinder groß geworden.
Im Klassenzimmer wandere ich von den Stromkreisen zu den Fotos der Klassenfahrt, zu Paul Klee und dem Projekt Energie sparen, gefolgt von den Steinzeitwerkzeugen und Modedesign. Und dann entdecke ich den jungen Mann, der mit traurigen Augen zur Seite schaut. "Den magst du?", fragt die kleine Miss und wir grinsen uns an. "Auch den Titel", sage ich, und sie liest ihn mit gedehnten Worten vor, schiebt dann ihre Hand in meine und zieht mich weiter. "Hätte ich mir denken können", murmelt sie und hinterher ärgerere ich mich, nicht nachgefragt zu haben.
Gut, dass es die kleine Miss gibt. Dass ich nicht die Letzte in der Reihe bin.
Freitag, 7. März 2008
Nach dem Tod habe ich das Gefühl, meine Mutter sprechen zu müssen oder zu wollen oder zu sollen. Wir haben seit vielen Monaten keinen Kontakt mehr, aber jetzt ist da etwas zwischen Wunsch und Pflichtgefühl, zwischen innerem Drang und objektiver Logik. Seit einer Woche nehme ich jeden Abend den Hörer zur Hand und lasse ihn doch wieder sinken, schaffe es nicht einmal die Nummer zu tippen. Warum geht es nicht? Was ist ein Telefonat verglichen mit dem Tod? Aber alles sträubt sich, Kopf und Herz und auch der verdammte Rest, denn ich habe Angst, ungreifbare und unaussprechliche Angst, auch wenn ich gar nicht weiß, was es eigentlich zu fürchten gibt.
Ihre eMails sind, ganz untypisch für sie, neutral gehalten. So neutral sie eben sein können, wenn die eigene Schwester gestorben ist und sich noch dazu die Tochter jeden Kontakt verbeten hat. In einem solchen Moment komme ich mir noch viel bösartiger vor, als ich es sein möchte. Hinterhältig und gemein, weil ich weiß, dass sie denkt, ich würde meine Schweigsamkeit zelebrieren, nur um ihr Schmerz zuzufügen. Dabei ist der Kontaktabbruch meine einzige Möglichkeit mich vor ihr zu schützen, so lange sie so stark und ich so schwach bin. Wir sind beide gefangen in unseren Gefühlen, die vor Jahren unsere Beziehung zueinander definierten - zu wenig gute, zu viele schlechte.
Ob wir zusammen zur Beerdigung fahren, fragt sie in ihrer eMail. Es wäre ein zusätzlicher Schmerz für mich, wenn wir getrennt voneinander in H. auftauchen würden, schreibt sie. Und schon laufen die Tränen, denn sie trifft einen wunden Punkt, der nicht nur sie schmerzt. Als Nicht-Familie zur Familie fahren - ein Szenario, so furchterregend und grässlich, das ich es mir nicht vorstellen mag. Aber ein Anruf macht nicht alles wieder heil und der schwere Stein im Magen wiegt so schwer, zu schwer, als dass ich ihn einfach wegschieben könnte. Ich lese von einem Blumenschmuck mit unser beider(?) Namen, eine logistische Frage, aber mein Herz krampft sich zusammen, weil ich immer nur daran denken kann, was wäre, wenn sie es wäre.
Meine Mutter wollte immer eine gute Mutter sein. Da bin ich ganz sicher, auch wenn ich es immer wieder vergesse. Sie wollte eine gute Mutter sein, ganz sicher, e i n e g u t e M u t t e r. Und nur weil ich denke, dass sie das nicht geschafft hat, ist es noch lange kein Grund dafür, mich wie eine schlechte Tochter aufzuführen und ihr all das an Gefühlen heimzahlen zu wollen, was sie mir vor Jahren zugefügt hat.
Mittwoch, 5. März 2008
Ganz leise kommt es angeschlichen und löst die Mittelmäßigkeit ab, die auf das Glück folgte. Es funktioniert eben doch nicht mehr als ein paar Tage, das mit dem guten Gefühl, denn ich kenne die Rezeptur nicht, aus der sich Kummer & Leid oder Liebe & Entzücken zusammensetzen.
Ich kenne mich nicht gut genug, ich verstehe die Welt nicht und habe Angst, dass ich mein Leben lang mit der Suche nach dem gesunden aber langweiligen Mittelmaß verbringen muss.
Was für ein Graus, das eine wie das andere.
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