Donnerstag, 1. Mai 2008


14 x 1. Mai. Mein Vater machte Frühstück, während im Hintergrund Ton Steine Scherben liefen, von denen wir alle Texte auswendig kannten und mitsangen, laut und schief, aber mit fröhlichem und ausgelassenem Lachen in Gesicht und Herz. Anschließend ging es los zur Demo, wir trafen seine Freunde und Arbeitskollegen und jemand rollte ein Transparent aus. Jedes Jahr erfasste mich wieder dieses Gefühl der Solidarität, dieses mitreißende Demo-Gefühl, das ganz eng mit meinem Vater verbunden war, der mich daran teilhaben ließ. Als ich noch klein war, dürfte ich von den Schultern meines Vaters die Welt betrachten und als ich groß war, küßte er mich mittags zum Abschied und sagte, dass ich bei der anderen Demo auf mich aufpassen soll. "Nicht vermummen, nicht plündern, keine Steine schmeißen". Nein Papa, natürlich nicht. Und bis auf ein einziges Mal habe ich mich auch daran gehalten.

Diese Jahre liegen heute verwischt in der Vergangenheit. Nur Eines sticht heraus, ich war 14 Jahre alt, meine Mutter längst ausgezogen. Die andere Frau lag in seinem Bett und kam einfach nicht zum Frühstück in die Küche, obwohl mein Vater sie mehrmals rief und dann nochmal und nochmal zu ihr ging, weil sie doch mitkommen dürfte zu unserem 1. Mai-Ritual. Irgendwann konnten wir nicht länger warten und verabschiedeten uns. Sie sprang wütend aus dem Bett, fing an zu schreien und zu toben und mein Vater schob mich aus der Wohnungstür und die Treppen herunter und war sehr ärgerlich. Auf der Straße hörten wir sie immer noch, nun am Fenster stehend, und ich sah etwas aus der Luft auf uns zukommen, Sekundenbruchteile, und dann dieser ohrenbetäubende Knall, der direkt vor uns zersplitternden Glaskanne. Es war unser letzter gemeinsam verbrachter 1. Mai.

Wir gehen schon seit Jahren nicht mehr zusammen zur Demo. Aber in Gedanken sind wir an diesem Tag wohl immer beim anderen, auch wenn ich heute mit dem Lieblingskollegen und einer anderen Freundin unterwegs sein werde und mein Vater den Tag in Köln bei seiner vielleicht-neuen Freundin verbringt. Ich weiß genau, dass er mich heute Abend anrufen wird um sich zu erkundigen wie mein Tag war, mit Demo und Maifest und dem Kollegen und ich freue mich, dass wenigstens dieses kleine Ritual am Telefon beibehalten wird.