Freitag, 21. März 2008

Sanne und ich laufen die Straße entlang, in der ich früher gewohnt habe. Die schlechten Erinnerungen hocken in allen Häuserecken, im Rinnstein, zwischen den parkenden Autos, im Eingang von unserem Bäcker und dann stehen wir schließlich vor meiner damaligen Haustür. Links ist noch immer der Thai-Puff, aber rechts ist nicht mehr das Damenduo anzutreffen, sondern mattes Licht strahlt warm und einladend auf die Straße hinaus. Sanne zieht mich ins Innere, in die wohlige Wärme und dann zu zwei kleinen Kinderstühlchen, die vor einem flackernden Kamin stehen. Kurz darauf stehen zwei Gläser mit Rotwein und eine Schale mit Salzstangen auf der Holzkiste vor uns, es kann losgehen, aber wir schweigen und schweigen, unangenehm lange.

"Ich fürchte, wir haben uns nichts mehr zu sagen", sagt Sanne leise. "Wir sprechen nur über andere, nicht über uns." Durch den Schmerz ihrer Worte nehme ich das leise Stimmengemurmel um uns herum wahr. "Liegt es an unseren unterschiedlichen Lebensweisen, den unterschiedlichen Lebenswelten?", will sie wissen und schaut mich drängend an. Ich erwidere ihren Blick und sie senkt den Kopf, ich schlucke schwer und blicke in die Flammen des Feuers. Sie will mich nicht verlieren, schiebt sie hinterher und hat Tränen in den Augen. "Wir sind so weit weg voneinander." Am liebsten würde ich aufstehen und gehen, weil sie alles so schwer macht und weil ich keine Schwere ertragen kann. Aber dann sage ich ein paar wichtige Worte, versuche mich zu erklären, uns zu erklären und sie schaut mich aufmerksam an und nickt und sagt ebenfalls ein paar Dinge und nimmt einige Worte zurück, relativiert sie und dann nehmen wir uns in die Arme und ich küsse sie lange auf die Wange. Sei meine Freundin, bleibe meine Freundin, liebe Sanne, denke ich und schweige.

Danach erzählt sie eine sehr lange Geschichte in der viele Personen mitspielen, in der sie unsere Hauptperson ist, in der es um Sex und SM geht, um Spannung und Erregung, Macht und Ohnmacht, Abenteuer und Grenzerfahrung und darum, dass sie jemanden braucht, mit dem sie ihre finsteren und traurigen Gedanken teilen kann. Zwischendurch schaut sie mich mit großen Augen an und will wissen, ob ich verstehe, ob ich es schlimm finde, pervers oder so, aber ich kann nur den Kopf schütteln, denn ich bin fasziniert von dieser phantasievollen Szenerie, der Kühnheit und dem Mut der beteiligten Personen und fühle in meinem Innern dieses neidvolle Drängen und Sehnen, dieses Ich-will-auch. Bisher haben wir nie so gesprochen. Über Gefühle natürlich, immer, über Liebe und Sehnsucht, Trauer und Enttäuschung, aber nie über intime Phantasien, sexuelle Handlungen, diese zarten und kostbaren Details, die einen großen Batzen Wesentliches enthalten. Sie ist so offen und ehrlich, wie ich es nie sein könnte, weil ich viel zu feige bin, viel zu mutlos.

"Was dieses Sexuelle angeht", sagt sie später, "bist du der extremste Mensch, den ich kenne. Weil du keine Grenzen hast. Weil du alles mitmachst. Weil du darin eintauchst und aufgehst." Sie sieht mich ernst an und ich könnte auf der Stelle losheulen. "Nein, nein, vielleicht war ich das mal", gebe ich zurück und versuche zu lächeln, "aber das bin ich nicht mehr. Davon ist nichts mehr übrig. Gar nichts." Sie schüttelt wissend den Kopf und grinst mich an und ihre Zuversicht tut mir gut, so verdammt gut, als könnte sie in mich hineinschauen, als wüßte sie mit unerschütterlicher Sicherheit, dass die ganze Verdorbenheit noch da ist und nur darauf wartet, irgendwo ein Ventil zu finden, erweckt zu werden, mitgerissen zu werden, ohne Einschränkungen, ohne Vorsichtsmaßregeln, ohne Safeword, irgendwann.

Zu Hause im Bett gehen mir ihre Worte nicht aus dem Kopf, drehen sich im Kreis herum und herum, immer wieder und plötzlich sind so viele Tränen da. Um mich selbst und um mein Unvermögen einfach zu Leben anstatt zu Denken. Wenn ich nur wüßte, wo ich diese Leichtigkeit und auch den unglaublich reizvollen Leichtsinn verloren habe.

Am Morgen tut alles weh. Gefühlskater.


 

Mittwoch, 19. März 2008

Neun Wochen braucht es, um vier Termine hineinzubasteln. Der nächste muss dann auch nochmal drei Wochen warten. Aber klar, das liegt an den Umständen, es ist nichts Persönliches, es liegt einfach an den verdammten Umständen. So ist das im Leben.

Warum drängeln, warum aufregen, wenn man doch vorher jahrelang Zeit verplempert hat. Mit lethargischem Nichtstun. Was sind dagegen ein paar Wochen Wartezeit, wenn man die Freikarte für's Murren-dürfen so leichtsinnig schwermütig in den Wind geschossen hat.

Ich bin nicht sicher, wann ich dem Glauben aufgesessen bin, dass ich ein Recht auf einen Arschtritt mit Anlauf auf Hilfe hätte. Das sei ein Irrtum, wurde mir nun mitgeteilt, denn es gibt rein gar nichts einfach mal so.

Vielleicht handelt es sich in meinem Fall dann doch um Größenwahnsinn.


 

Dienstag, 18. März 2008

Selbsthilfegruppe. Igitt, was für ein scheußliches Wort. Was soll einem schon in den Sinn kommen, außer einem Haufen gestörter Kloppis, die keine Freunde haben und mit gequälten Mienen vor ihren Wassergläsern sitzen, aufgereiht um einen Ikeatisch in trostloser Umgebung, in dessen Mitte ein Teller mit vertrockneten Aldi-Keksen aus der Blechdose steht. (Na Sie wissen schon, diese mit Hagelzucker bestreuten Brezeln und so, ja genau, die in den kleinen Papierbehältern.) Aber Kekse müssen sein, schließlich will man es sich zusammen ein bisschen nett machen, auch wenn das Thema ernst zu werden verspricht.

Vorstellungsrunde ohne Fluchtweg. Name, Alter und der Grund des Kommens. Natürlich duzen wir uns, schließlich sind wir hier ganz unter uns und schließlich werden wir uns alle ausziehen, früher oder später, also los, los, machen Sie sich bitte mal frei, nur keine falsche Scheu.

Jeder darf, ganz nach Belieben, betroffen in die Runde gucken und alle dürfen zustimmend nicken, denn schließlich ist das Schicksal hart und wir wissen genau was der andere meint, jawohl, wir kennen es alle, weil wir uns damit beschäftigen solange wir denken können. Warum wir dann noch reden müssen? Keine Ahnung.

Die Eine in der Ecke kriegt kaum ihren Namen heraus, es ist schließlich alles so aufregend, ohje, und alle dürfen sich gratis eine Runde fremdschämen. Oder nein, streichen Sie das aus dem Protokoll, denn hier ist nicht der Ort für Scham und Peinlichkeit, hier sind wir Gleiche unter Gleichen und dürfen ganz frei reden, uns frei fühlen und offen sein, ganz offen und den Gefühlen freien Lauf lassen und wenn einem nach Weinen ist, dann weint man eben, weil es hier ein liebevolles Weinen und kein gemeines Heulen und kein Rumgeplärre ist.

Naja, ich hab mich jedenfalls trotzdem bei der Gruppe angemeldet. Dass Sie es nur wissen. Also sagen Sie jetzt bloß nix Falsches.


 

Sonntag, 16. März 2008

Das Wochenende ist vorbei, ich habe es geschafft, trotz Talfahrt und schlierigem Grauschleier. Überstanden mit ein paar Blessuren, aber längst nicht so schlimm wie befürchtet.

Hahaha, das wäre doch gelacht, würde jetzt nicht wieder die Sonne aufgehen.


 



And I'm looking to the sky to save me
Looking for a sign of life
Looking for something to help me burn out bright
(Foo Fighters. Learn to Fly)


 

Samstag, 15. März 2008

Nicht gut, nein, gar nicht gut. Das Vieh macht sich selbständig, sogar mit Vorwarnung, aber ich habe keinen Notfallplan parat. Ich hatte mich nur mit einer Hoffnung auf diesen Tag vorbereitet. Der Hoffnung eine Hilfestellung an meiner Seite zu haben, wenn es wieder soweit sein sollte, aber nichts ist so gekommen, wie ich es mir erhofft habe. Und nun stehe ich wieder da, alleine, wie schon die ganzen letzten Jahre immer wieder, nur schlimmer.

Andererseits. Was hat ein Abend zu bedeuten, wenn der neue Morgen klar & blaugewischt ist und ein Guter werden kann? Es könnte einfach wieder verschwinden, untertauchen und seine Fratze abwenden. Die Angst bleibt, denn es gibt keine Mitte in meinem Leben, an die ich mich klammern könnte, es gibt immer nur entweder oder, gut oder schlecht, schwarz oder weiß, gehorsam oder ungezogen, beherrschend oder beherrscht.

Ich weiß nicht warum, ich weiß es einfach nicht. Und es gibt keine Reißleine, keinen Fallschirm, keinen Rettungsanker, der mich vor dem Schlimmsten bewahren kann, außer dem puren Zufall.