Mittwoch, 25. März 2009

Sie gehen am Kanal entlang, es ist schon Ende März.
Sie streichelt sein Schlüsselbein und er streichelt ihr Herz.

(Funny van Dannen. Ein Paar)

Obwohl wir uns fast täglich sehen, klopft mein Herz vor jedem Treffen bis zum Anschlag. Egal ob 2 oder 12 gemeinsame Stunden vor uns liegen. Mit ihm zusammen sein lässt mich strahlen. Trotz der Angst, dass im nächsten Moment alles vorbei sein könnte, lasse ich mich in dieses Gefühl fallen und treibe ziellos im großen Meer aus Glückseligkeit umher. Etwas riskieren, weil mein Glaube an uns stark ist. Etwas riskieren, weil sonst alles nur halb so schön wäre. Meine Entscheidung habe ich doch längst getroffen. Den will ich.
Wir reden, fahren, laufen, küssen, schweigen und bestaunen die stille, karge und von Wasser überflutete Landschaft, die bald wieder zum Leben erwachen wird. Ich nehme seine Hand in meine und drücke sie ganz fest. Ich werde dich nie wieder loslassen, denke ich im Stillen und schaue in seine schönen braunen Augen. "Ich werde dich nie wieder loslassen", sagt er, zieht mich an sich und drückt mich so fest, dass mein Rücken knackt und ich vor Schmerzen lachend aufjaule.

Wir stapfen stolpernd durch das morastige Sumpfland, schrecken zwei Fasane auf und machen Pläne für die nahe Zukunft. Es gibt so viel zu tun, zu erleben, zu entdecken und es gibt keine Zeitbegrenzung für uns beide. Die Dinge geschehen wie von selbst, wenn man sie lässt. Ich bin so glücklich, denke ich, während wir Hand in Hand auf den Sonnenuntergang im überfluteten Warthebruch blicken. "Ich bin so glücklich", haucht er in mein Ohr. Wir sehen uns an und grinsen und ich weiß genau, dass wir es beide nicht recht glauben können.

Später, zu Hause, nachdem wir gekocht und gegessen haben, liegen wir satt und zufrieden nebeneinander im Bett. Mein Kopf liegt auf seiner Brust, während ich mit den Zehen des rechten Fußes kleine Herzen in die Luft male. Ich begehre dich so sehr, denke ich, während er mit seinen Fingern die Konturen meines Gesichts nachzeichnet. Wo war dieser Mann die ganze Zeit? "Ich begehre dich so sehr", murmelt er kaum vernehmbar und stemmt sich vom Bett hoch, küsst meine Hände, meine Wangen, Stirn und Nase und macht diese lustigen Laute, eine Mischung aus Glucksen & Lachen, befreit und glücklich, wie es nur ungläubige Verliebte tun.

Als er mich verlässt sind die Kerzen heruntergebrannt. Es gibt ihn wirklich, ja, er ist echt, er ist wahr, er hat sich für mich entschieden und es gibt überhaupt keinen Grund an seiner Aufrichtigkeit zu zweifeln. "Siehst du mir nicht an, wie glücklich ich bin", fragte er ein paar Stunden zuvor und ja, ich sehe es ihm an, so wie es mir auch jeder ansieht. Dieses kleine, große Glück.


 

Dienstag, 24. März 2009

Die Ratten verlassen das sinkende Schiff.
(Redensart)

Jetzt wollen die Arschlöcher der Anstalt Anstaltsleiter den schönen Schein wahren und zum Dank für die getane Arbeit eine Lage ausgeben. Es scheint, als sollte der Schmierenkomödie nun offiziell die Narrenkappe aufgesetzt werden.

Nein, nein, nein, ohne mich. Wie sehr müsste ich heucheln, um die einzwei Stunden zu überstehen.

Fragt sich nur, ob ich mich galant aus der Affäre schummele oder halbwegs ehrlich bleibe.

(So müde. So erschöpft. Beschuss von allen Seiten.)


 

Montag, 23. März 2009

Der Kontaktabbruch 2006/2007 hat dazu geführt, dass meine Mutter und ich sehr vorsichtig miteinander umgehen. Es lief immer auf die gleiche Weise ab: Sie war abwertend, ich nachtragend und jedes Schweigen dauerte viele Wochen lang.

Heute bemüht sie sich, mich freundlich zu behandeln. Heute bemühe ich mich, nachsichtig zu sein und nicht jedes Wort auf die Goldwaage zu legen.

Aber nun ist es wieder soweit. Die Situation meiner Arbeitslosigkeit ist für meine Mutter unerträglich. Das alte Muster wird hervorgekramt: Sie macht sich Sorgen, leidet unter schrecklichen Existenzängsten, beginnt zu Wehklagen, die sich zu Vorwürfen steigern, mischt sich ein, bewertet, verurteilt. Und kann keine meiner Bitten, das Thema zu wechseln oder gleich ganz auszuklammern, nachkommen. Als Quittung explodiere ich innerlich und gehe an die Decke, kann mich kaum zurückhalten vor Ärger und Wut. Das Gefühl, ein unmündiges und dummes Kind zu sein, das alles falsch macht, das keine Ahnung vom Leben hat, ist altbekannt. Es ist genau wie früher.

Ich will ruhig sein. Will ihr sagen, dass sie sich nicht einmischen soll. Will sie bitten, ihre vielen Sorgen und Ängste mit ihren Freunden zu besprechen, damit wir weiterhin friedlichen Kontakt haben können. Stattdessen grolle ich vor mich hin und habe einen Haufen Wut im Bauch. Das Telefon klingelt, bis der Anrufbeantworter ihre Nachricht entgegen nimmt, die Mails sammeln sich ungelesen und unbeantwortet Posteingang, während ich versuche meinen übermäßigen Zorn unter Kontrolle zu bringen.

Immer dasselbe.


 

Samstag, 21. März 2009



Der Fremde war mein Jahresbeginn 2009. Eine Begegnung reichte aus und es folgte ein Monat ohne Kompromisse, ohne Zaudern, ohne Zweifel. Ich konnte ich mich seinem Charisma nicht entziehen, wollte mich auch nicht entziehen. Stattdessen erlebte ich eine mir vollkommen unbekannte Hingabe, die mir beim nochmaligen Lesen meiner eigenen Texte und der entsprechenden Erinnerungen die Knie weich werden lässt.

All das kam überraschend und unerwartet. Vielleicht, weil ich eine Liaison wie mit ihm, nie für möglich gehalten hatte. Eine Fantasie ist eine Fantasie. Aber er erschien, pünktlich zum neuen Jahr, kraftvoll, selbstsicher und charmant, und verkörperte, wonach ich nie wirklich gesucht, was ich aber so sehr ersehnte habe. Ich saß ihm gegenüber, blickte in seine blauen Augen, starrte auf seinen lächelnden Mund und wusste, dass ich mich ihm hingeben wollte. Wenn er mich denn wollte.

Fremder1
Fremder2
Fremder3

Im Februar kam die Schwere. Er hatte keine Zeit, musste arbeiten, hatte viele Verpflichtungen, privater und beruflicher Art, während ich wartete und wartete, geduldiger als jemals zuvor. Ich schwankte von sehnsüchtiger Verzweifelung zu einem Allesscheißegal-Trotz, von gekränkter Eitelkeit zu devoter Ergebenheit. Ich wollte ihn wiedersehen und musste warten. Es war hart und ich litt.

Mitte März sollte der Stress vorbei sein und Mitte März meldet er sich, entgegen aller Freundinnenprognosen. Mein Herz rast, als ich seine Mail in meinem Postfach sehe. Er schreibt, dass er mich in den nächsten Tagen erwartet. Ich lese seine Zeilen wieder und wieder, brauche Zeit, um innerlich Abschied zu nehmen und Worte für eine Antwort zu finden. "Es handelt sich um eine akute Herzensangelegenheit", schreibe ich und fasse damit meinen momentanen Zustand zusammen. "Das Herz hat absoluten Vorrang", schreibt er zurück, aber auch, dass ich mich gerne wieder bei ihm melden kann - irgendwann später. Und ich spüre, wie seine Worte "ganz herzlich und viel viel Glück" erst in meinem Kopf, dann in meinem Körper ankommen, merke, wie mir die Tränen in die Augen steigen, weil ich froh bin über diesen schönen Abschied, der mir so sehr entspricht.

Auf Wiedersehen, Fremder. Und danke.


 

Donnerstag, 19. März 2009

Am Nachmittag sitzen Sanne und ich zusammen im Café und nippen an unseren Getränken, während die Staubflocken im fahlen Sonnenlicht tanzen. Nachdem die Liebesangelegenheiten in allen Einzelheiten besprochen wurden, geht es ums Geld. Sanne hat einen neuen Job, immerhin. Aber ich weiß nicht, wie viel Arbeitslosengeld ich ab nächsten Monat bekommen werde, weil die Heinis sich Zeit lassen. Außerdem haben die Recherchen im Netz deutlich gezeigt, dass die finanziellen Zukunftsaussichten, selbst bei einer Vollzeitstelle, alles andere als rosig sind.

Wir kommen beide mit wenig Geld aus. Das macht die immerwährende Übung. Auch deshalb waren die letzten drei Jahre in finanzieller Hinsicht die reinste Erholung. "Du hast mich immer eingeladen", sagt Sanne, während sie Zucker in ihren Tee kippt. "Das war wirklich toll." Ich überlege, ob das stimmt, ob ich sie wirklich immer eingeladen habe. Es kann tatsächlich stimmen, auch wenn es mir nicht aufgefallen ist. Aber es war eine Selbstverständlichkeit, weil ich Geld hatte und Sanne nicht. Also eigentlich nicht der Rede wert. "Jetzt bist du arbeitslos und ich lade ich dich ein", sagt sie grinsend und ruft nach der Rechnung. Ich bin ganz gerührt von dieser Geste, auch wenn mir dieser Rollenwechsel sehr schwer fällt.

Am Abend sitze ich bei der Tatze am Küchentisch und korrigiere die Hausaufgaben vom Glitzerfunkelsternchen. Auch hier geht es ums Geld, auch hier vor allem um das fehlende. "Neuer Rechner, Klassenfahrt, Klamotten und Schuhe für das Kind und nebenbei noch der ganz normale Alltagskram", zählt sie auf. Die Tatze erwähnt ihre Knieschmerzen und dass sie täglich zur Arbeit laufen muss, weil momentan kein Geld für eine Fahrkarte übrig ist. Wir reden über Schulden, ausgeschöpfte Dispokredite, notwendige Rentenversicherungen und diskutieren über die Frage, wie man leben soll, wenn das Geld einfach nie ausreicht. Wir finden keine akzeptable Lösung. Ich merke, dass ich innerlich voller Wut bin. Darüber, dass eine alleinerziehende Mutter jeden Pfennig dreimal umdrehen muss, obwohl sie einen Vollzeitjob hat und sich auch für Wochenend- und Abendschichten nicht zu fein ist. Am liebsten würde ich der Tatze einen ganzen Batzen Geld auf den Tisch häufen. Aber ich habe ja selber keins.

Bevor ich gehe, lege ich immerhin meine Monatskarte auf das Schränkchen im Flur. "Nein, das geht doch nicht", erwidert die Tatze heftig, "du hast doch auch kein Geld". "Aber ein Fahrrad", gebe ich zurück, ziehe eine Fratze und erkläre, dass ich aus Gewichterhaltungs- und Konditionsgründen sowieso umsteigen muss. "Du leistest damit einen wertvollen Beitrag für meine Gesundheit", sage ich mit Oberlehrerinnenstimme und wir müssen beide lachen. So geht es.

Trotzdem. Es ist und bleibt ein großer Mist, die ganze Sache mit dem Geld. Wie mich dieses Thema nervt. Wie es immer wieder auftaucht, bei mir, bei meinen Freundinnen. Und es ist abzusehen, dass es niemals anders werden wird, dass die wenigsten von uns entspannt und ohne Rumrechnerei mit ihrem Geld auskommen werden, weil wir in unseren Jobs meistens unterbezahlt sind oder befristete (Kurz-)Arbeitsverträge haben. Oder beides.