Mittwoch, 25. März 2009

Sie gehen am Kanal entlang, es ist schon Ende März.
Sie streichelt sein Schlüsselbein und er streichelt ihr Herz.

(Funny van Dannen. Ein Paar)

Obwohl wir uns fast täglich sehen, klopft mein Herz vor jedem Treffen bis zum Anschlag. Egal ob 2 oder 12 gemeinsame Stunden vor uns liegen. Mit ihm zusammen sein lässt mich strahlen. Trotz der Angst, dass im nächsten Moment alles vorbei sein könnte, lasse ich mich in dieses Gefühl fallen und treibe ziellos im großen Meer aus Glückseligkeit umher. Etwas riskieren, weil mein Glaube an uns stark ist. Etwas riskieren, weil sonst alles nur halb so schön wäre. Meine Entscheidung habe ich doch längst getroffen. Den will ich.
Wir reden, fahren, laufen, küssen, schweigen und bestaunen die stille, karge und von Wasser überflutete Landschaft, die bald wieder zum Leben erwachen wird. Ich nehme seine Hand in meine und drücke sie ganz fest. Ich werde dich nie wieder loslassen, denke ich im Stillen und schaue in seine schönen braunen Augen. "Ich werde dich nie wieder loslassen", sagt er, zieht mich an sich und drückt mich so fest, dass mein Rücken knackt und ich vor Schmerzen lachend aufjaule.

Wir stapfen stolpernd durch das morastige Sumpfland, schrecken zwei Fasane auf und machen Pläne für die nahe Zukunft. Es gibt so viel zu tun, zu erleben, zu entdecken und es gibt keine Zeitbegrenzung für uns beide. Die Dinge geschehen wie von selbst, wenn man sie lässt. Ich bin so glücklich, denke ich, während wir Hand in Hand auf den Sonnenuntergang im überfluteten Warthebruch blicken. "Ich bin so glücklich", haucht er in mein Ohr. Wir sehen uns an und grinsen und ich weiß genau, dass wir es beide nicht recht glauben können.

Später, zu Hause, nachdem wir gekocht und gegessen haben, liegen wir satt und zufrieden nebeneinander im Bett. Mein Kopf liegt auf seiner Brust, während ich mit den Zehen des rechten Fußes kleine Herzen in die Luft male. Ich begehre dich so sehr, denke ich, während er mit seinen Fingern die Konturen meines Gesichts nachzeichnet. Wo war dieser Mann die ganze Zeit? "Ich begehre dich so sehr", murmelt er kaum vernehmbar und stemmt sich vom Bett hoch, küsst meine Hände, meine Wangen, Stirn und Nase und macht diese lustigen Laute, eine Mischung aus Glucksen & Lachen, befreit und glücklich, wie es nur ungläubige Verliebte tun.

Als er mich verlässt sind die Kerzen heruntergebrannt. Es gibt ihn wirklich, ja, er ist echt, er ist wahr, er hat sich für mich entschieden und es gibt überhaupt keinen Grund an seiner Aufrichtigkeit zu zweifeln. "Siehst du mir nicht an, wie glücklich ich bin", fragte er ein paar Stunden zuvor und ja, ich sehe es ihm an, so wie es mir auch jeder ansieht. Dieses kleine, große Glück.


 

Dienstag, 17. März 2009

Ich bin aufgeregt, auch wenn wir uns nur für zwei Stunden sehen können. "So kurz - ich komme mir blöd vor", sagt er, aber mir ist alles egal, hauptsache sehen, hauptsache, für eine kurze Weile in seine Augen blicken können, seinen Körper spüren, seine Worte hören.

Dann muss er los zu seinen Freunden. Und ich wundere mich selbst, dass ich nicht einmal zögere, als ich ihn frage, ob er nicht später zu meinen Freunden nachkommen will, denn Mimi hat Geburtstag. Er lächelt und nickt. So einfach ist das. Als er dann kommt, als er sich zu mir setzt und alle sehen, wie er meine Hand nimmt, seinen Arm um meine Schultern legt, sich immer wieder kurz hinüberbeugt um mich zu küssen, könnte ich insgeheim platzen vor Stolz. Es fühlt sich so richtig an, so schön, so aufregend. Es fühlt sich zu zweit an. Seht ihr auch alle, dass dieser großartige, intelligente, emotional reife und schönste aller Männer meiner ist?, will ich in die Welt schreien, bleibe aber still und lache leise in sein Ohr, während ich meine Nase in seine duftenden Haare stecke.

Die Nacht ist wieder schlaflos und auch nachdem er mich im Morgengrauen verlassen hat, kann ich nicht mehr als drei Stunden ruhen, so aufgewühlt bin ich von der Situation. Mimis morgendliche SMS tut ihr übriges: "Mann gefällt, vor allem mit dir im Turtelpack." Ich liege im Bett, bin erleichtert, freue mich, lache, presse sein T-Shirt an mein heißes Gesicht und kann nicht glauben, dass es ist wie es ist.

Ich lerne seine beiden besten Freunde kennen, wir besuchen eine Ausstellung, gehen spazieren, schauen, ob wir auch außerhalb meines Bettes etwas miteinander anfangen können. Am Abend sitzen wir bei Monsieur Vuong vor unserem Essen und er schiebt mir ein Foto über den Tisch. Ich sehe zwei kleine, strubbelhaarige, münderaufreißende, scheinwerferäugige, zuckersüße Jungs. Das sind sie also. "Danke", flüstere ich ihm zu, während ich mit der einen Hand das Foto nehme, mit der anderen unter dem Tisch sein Bein drücke, denn es fühlt sich gut an, die beiden endlich zu sehen. Auch unausgesprochen ist mir klar, dass die Zusammenführung beiden Welten, ich auf der einen Seite, die Familie auf der anderen, ihm wohl das meiste Kopfzerbrechen bereiten wird.

Pläne sind ein Zeichen für Verbindlichkeit. "Können wir Ostern gemeinsam verbringen?", will er vorsichtig wissen, denn die Jungs werden für ein paar Tage bei der Oma sein. Er wird zum ersten Mal bei mir schlafen können, mit mir zusammen frühstücken. Wir werden ins Konzert und spazieren gehen und den Rest der Zeit vermutlich im Bett verbringen. Vier Tage lang. Vorfreude. Wie früher als Kind, wenn der Heilige Abend bevorstand.


 

Donnerstag, 12. März 2009

Vor dem Wiedersehen mit dem Samstagsdate bin ich nervös. Je näher die Verabredung kommt, desto wüster werden die von mir fantasierten Szenarien vom Ablauf des Abends. Er wird hereinkommen, nur kurz auf dem Sofa Platz nehmen und mir sagen was Sache ist. Dass er mich nicht wiedersehen will. Dass der Samstag ein Fehler war. Dass er mich hässlich/dumm/langweilig findet. Dass er kein Interesse hat.

could we / take a walk / could we / have a talk alone / in the afternoon

Zaghaft betritt er den Flur und lugt um die Ecke. "Na!", sagt er mit seinem verschmitzt-neckisch Unterton und wir grinsen uns an. Ich mache einen vorsichtigen Schritt auf ihn zu, aber er zieht mich forsch an sich, küsst mich auf die Lippen und alles ist gut. Unser Gespräch geht da weiter, wo wir es am Sonntag unterbrochen haben. Während er spricht, halte ich seine Hände, denn seine Worte sind so schwer, dass sie keine Distanz ertragen würden. Es muss raus, ich spüre es fast körperlich, er kann es nicht aufhalten, selbst wenn er wollte. Er versucht zu erklären, versucht Worte zu finden, für das, was zu Hause passiert. Es geht um die unerträgliche Angst vor dem Verlust des Liebsten. Der Kinder. Ich höre schweigend zu, denn er spricht nicht mit mir, sondern versucht, sich selbst seine Welt zu erklären. Ein Monolog über die großen Stolpersteine des Lebens. Er ist in Trauer, man hört es an seiner Stimme, sieht es in seinen Augen und während er spricht, lege ich sanft meine Wange an sein Herz. "Nicht aufgeben", sage ich leise und als er fertig ist, nehme ihn an der Hand und ziehe ihn hinter mir her ins Schlafzimmer.

could we / have a seat / why yes be my guest / you can hold my hand

Weiterreden. Es gibt so viel zu sagen. Über die Kindheit, die Familien, über Vergangenheit und Gegenwart, über Trennungen und andere Krisen, über Träume, Wünsche, Hoffnungen, Glück und BDSM. Zwischendurch schweigen wir immer wieder, weil man außer Reden ja noch mehr schöne Dinge tun kann. "Ich quatsche zu viel", sagt er fragend, während sein Kopf schwer auf meiner Brust liegt. Ich schüttele verneinend den Kopf und küsse die Spitze seines kleinen Fingers. "So ist es genau richtig", gebe ich zurück und er nickt erleichtert, während ich mich unter ihm wegrolle und meine kalten Füße zwischen seine Oberschenkel schiebe. Wir sind zu alt für halbe Sachen, denke ich im Stillen. Schonungslose Offenheit. Was hat man in unserem Alter schon zu verlieren?

what a dream / in the grass / we kissed / fell in love too fast too soon / love full bloom

Es tut mir gut ihn zu spüren. Seine Nähe, seine Wärme, seine Haut. Wir küssen und kämpfen, lachen und toben und langsam fällt die Anspannung der Ernsthaftigkeit von uns ab. Er flüstert mir ins Ohr, was er alles mit mir tun möchte. Aber ich bin auf der Hut und warte auf die Enttäuschung, warte, dass er ungeduldig wird, dass er geht, dass er etwas Verletzendes sagt. Ich weiß genau, welchem Idioten ich mein Misstrauen zu verdanken habe. "Langsam", flüstere ich ihm, der so ganz anders ist, ins Ohr. "Wir haben Zeit." Seele und Körper kennenlernen. Ganz unhastig. Und trotzdem ich ihn kritisch-genau im Auge behalte, macht er alles richtig, ist er lieb und zart und auch ein bisschen schweingemein, aber stets mit voller Aufmerksamkeit bei mir. Warme Wogen der Dankbarkeit.

should we get up / let's wake up / let's get dressed / i'll let you walk me up the street / back home

"Es ist Vollmond", sagt er, als er aufsteht und sich vor das Fenster stellt. Vom Bett aus beobachte ich ihn beim Anziehen. Und dann muss ich lachen, weil es schon ein bisschen lustig ist, dass ich mir einen Spießer in schwarzer Bundfaltenhose und Rollkragenpullover angelacht habe. Aber ich merke, dass mich diese Mischung aus Charme, Intellekt und Traurigkeit umhaut. "Komm nochmal her", locke ich ihn in verführerischem Ton, strecke die Hand nach ihm aus und ziehe ihn über mich. Wir küssen uns lange. Dann sieht er mir in die Augen und greift mit beiden Händen mein Gesicht: "Bist du wirklich echt?" fragt er ernst. "Bist du kein Traum?"

thank you / it was great / lets make another date / real soon / in the afternoon

Im Türrahmen lehnend schaue ich ihm hinterher. Dann tappe ich mit nackten Füßen zurück ins Bett.

(Cat Power. Could We)


 

Montag, 5. Januar 2009

Das, was zwischen ihm und mir stattfindet, hat nichts mit Romantik zu tun. Im Gegenteil. Es ist gewaltsam, ohne das körperliche Schmerzen eine Rolle spielen. Es sind seine Worte, die quälend in meinem Innern brennen und für einen Moment wünschte ich, es wären nur seine kraftvollen Hände die mir wehtun. Aber genau dieser Schmerz ist es, der es mir möglich macht ihm alles zu Füßen zu legen. Körper und Seele. Mich.

Er spürt meine Qual, meine Erschütterung, meine Verletzlichkeit. Läßt mich ausruhen, während mein Kopf in seinem Schoß liegt, meine Arme seine Beine umklammern und er durch mein Haar streicht. Seine leisen Worte wirken beruhigend und ich atme ihn in tiefen Zügen ein, bis das Herz aufhört zu rasen, bis sich Ruhe auf die aufgepeitschten Sinne legt. Es wird ein schwerer Weg werden, das wissen wir beide, auf dem Lust und Schmerz die Hauptrollen spielen. Ich bin sicherer den je, dass der Erregung, die aus diesem seelischem Schmerz entsteht, eine tiefe Verwundung zugrunde liegt, deren Ursachen ich nur teilweise erfassen kann, die aber in meinem Innern brodelt, an die Oberfläche drängt und nach Heilung sucht.

Zum Abschied reichen wir uns mit einem Lächeln die Hand, Distanz und Augenhöhe sind wieder hergestellt. Ich trete auf die Straße, die in ein stilles Weiß gehüllt ist und dicke, sanfte Flocken fallen lautlos klingend in meine Welt, in der ich irgendwie, irgendwo angekommen bin. Ruhe & Stille. Körperlich und seelisch.


 

Freitag, 19. Dezember 2008



Die Pflicht gegen sich selbst besteht darin, dass der Mensch die Würde der Menschheit in seiner eigenen Person bewahre.
(Immanuel Kant)

Der Philosoph verringert unsere Distanz in kleinen, wohldosierten Schritten. Je mehr er von sich preisgibt, je mehr er mich hinter die Fassade schauen lässt, je mehr wir reden, diskutieren und streiten, desto begehrenswerter wird er. Seine Schwächen sind seine Stärken. Jeder Makel macht ihn in meinen Augen noch attraktiver, besonderer, interessanter. Je mehr Zeit vergeht, je mehr wir uns im Kopfkino verstricken, desto fordernder und anstrengender wird er, desto offener und anhänglicher werde ich. Alles dreht sich um ihn. Ich drehe mich um ihn. Und ich will mehr und mehr, will Nähe und Härte, will von ihm lernen, ihm den Kopf verdrehen, mit ihm in eine Welt eintauchen, in der wir uns verlieren und wieder zueinander finden. Gemeinsam Grenzen und Grenzenlosigkeit erkunden. Die Welt, in der das Tier, welches normalerweise hinter Schloß und Riegel eingesperrt wird, für einen Moment Freigang bekommt und in wilder und unberechenbarer Raserei hervorbricht. Eine Reise in beängstigende Abgründe, in erregende Abgründe, mit einer Anziehungskraft, die mich manchmal fragen lässt, ob ich nicht schon längst zu weit gegangen bin. Ein Trip, häufig genug entlang der Grenzen des guten Geschmacks.

"Es gibt Dinge im Leben", sagt er, "die man sich verbieten muss, weil man sonst nicht mehr in den Spiegel schauen kann". Ich verstehe was er meint, stimme ihm zu und wir schweigen einen langen Moment, weil Worte manchmal so stark sind, dass man ihnen Raum geben muss, um sie zu verdauen. Sein moralisches Handeln, seine Konsequenz, seine Loyalität, seine Vernunft, sein Pflichtgefühl bilden ein stabiles Gerüst für sein Leben. Er weiß genau was er will und auf was er verzichtet. Er hat sich entschieden. Er lebt mit den Konsequenzen, auch wenn sie zeitweise zu körperlichen und seelischen Schmerzen führen, aber er bekommt dafür etwas, was Wichtiger ist, als alles andere.

Es ist meine Sehnsucht und meine Gier nach Leben, nach Liebe, nach Nähe, nach Symbiose, die diesen heftigen Herzschmerz verursacht. Das Wissen, ihn nicht haben zu können. Nicht einmal die Möglichkeit zu haben, um ihn kämpfen zu können. Dieser Zustand schlägt sich mit der Zeit auf meine Stimmung nieder, die Nächte werden immer kürzer, meine Augen röter und die Augenringe dunkler und tiefer. Unsere Auseinandersetzungen verlieren ihren locker-leichten Charakter, weil die Angst vor dem Ende unermesslich wird. Unsere Gespräche sind so ehrlich, dass es weh tut. So offen, dass ich mir nackt und schutzlos vorkomme. Aber er hüllt mich mit seinen Worten ein und führt mich langsam an den Punkt, an dem ich Abschied nehmen kann. Er redet meine Tränen weg, mein Weinen, mein Schluchzen, mit guten und sanften Worten, denn er weiß, dass Logik und Vernunft bei mir auf fruchtbaren Boden fallen.

Ich lasse ihn gehen. Mein Herz, mein Kopf, meine Mailbox, mein Handyspeicher sind voll von ihm. Ich wusste von Anfang an, dass es so kommen wird und kann es trotzdem schlecht ertragen. Was bleibt, ist kostbar. Erinnerungen an ein paar Wochen pures Gefühlslimit. Die Bekanntschaft mit einem großartigen Menschen, der sein Ding durchgezogen hat, unerbittlich, bis zur ultimativen Schmerzgrenze. Die Begegnung mit mir selbst. Die Einsicht, dass man mich mit Offenheit, Ehrlichkeit und einer Menge gutem Zureden, zu ziemlich allem kriegt.

Auf Wiedersehen, Philosoph. Hab Dank und lebe wohl.


 

Montag, 8. Dezember 2008



Mimi lacht, als ich mit Daumen und Zeigefingern ein Herz forme und es auf die schwarze Tischplatte vor mich lege. Dann seufzt sie und ich auch und wir heben unsere Gläser und prosten uns zu. "Auf den Philosophen", sagt sie. "Auf den Philosophen", sage ich.

Es gibt Käse, Antipasti, Baguette, Wasser und Roséwein. Wie jede Woche. "So ist das, wenn man Spießer wird", sagt Mimi lakonisch und piekt mit der Gabel erst in eine Olive, dann in eine Cashewnuss und steckt sich beides in den Mund. "Langsam werden wir unflexibel, oder?", sinniert sie, ohne eine Antwort zu erwarten. Ich schiebe den Schimmelkäse in ihre Richtung und schweige. "Das ist vermutlich die richtige Zeit zum Heiraten", fügt sie hinzu und ich drehe das Weinglas im Licht hin und her und will mir am liebsten die Ohren zuhalten. Heiraten. Püh.

Sie will wissen was los ist. Wie es mir geht. Mit ihm und allgemein. "Es ist Irrsinn", gebe ich zu. Irrsinn der mich glücklich und traurig macht, mich ablenkt, mich anzieht, abstößt, ausfüllt und wieder zurückweist, der mein Begehren und meine Hoffnung weckt und wieder nimmt, mich demütigt, mir Kraft gibt, mich verzaubert, mich elektrisiert und mir den Kopf verdreht. Mimi schaut mich mit diesem bemitleidenden Jetzt-dreht-sie-völlig-durch-Blick an. "Er wird dir das Herz brechen", ist das einzige was sie sagt und ich nicke und trinke und grinse in mich hinein.

Wir reden über die Arbeit, Sport, gemeinsame Freunde. Kurze Pause. "Sag mal", beginne ich vorsichtig ein neues Thema und spüre sofort ihren aufmerksam-fragenden Blick. "Glaubst du, ich suche mir die Männer deswegen aus, weil ich sie nicht haben kann?" Mimi wird geschäftig, schweigt aber zunächst. Gießt, anstatt zu antworten, erst Olivenöl, dann Balsamicoessig auf einen Teller, streut Salz darüber und greift nach der Pfeffermühle. "Nein", sagt sie dann , während sie Weißbrot in die Mischung tunkt. "Nein, so ist es nicht. Du willst einen Mann nicht nur aus der Ferne anschmachten", erklärt sie in ernstem Ton und ich nicke zustimmend, denn genau das denke ich auch und war mir zwischenzeitlich doch nicht mehr sicher. "Könntest du den Philosophen haben und gäbe es nicht diesen einen guten Grund", fährt sie fort, "würdet ihr ein Paar werden." Ich schlucke schwer und will ihr so gerne glauben. "Ein Paar werden...", sage ich langsam und wünsche, dass sie recht hat, auch wenn es im Grunde einerlei ist, ob es sich bei dieser Hoffnung um Realität oder Phantasiegespinst handelt.

"Mein Problem: Ich mag dich zu sehr", tippe ich später ins Handy und es ist mir vollkommen egal, ob er mich für verrückt hält, heimlich über mich lacht oder es sonstwie lächerlich findet. "Ich weiß", schreibt er zurück und ich lasse mich seufzend in die Kissen sinken, denn mehr gibt es eigentlich nicht zu sagen. Den Gutenachtgruß denke ich mir.


 

Freitag, 24. Oktober 2008

"Das ist doch keine Liebeserklärung, du Dummkopf", lacht die frischverliebte Tatze los, nachdem ich an ihrem Küchentisch eine Inhaltsangabe meiner Email an den Lehrer zusammengestottert habe. "Das ist einfach nur ein süßes Dankeschön, verpackt in mädchenhaften Worten." Ich lassen den Kopf sinken und mein Gefühl schwankt zwischen grenzenloser Erleichterung, sehnsüchtigem Herzklopfen und anhaltender Sorge.

Püh, denke ich später, als ich zu Hause im Bett liege, für mich ist es trotzdem eine Liebeserklärung. Liebeserklärungen sind heikle Angelegenheiten, zumindest dann, wenn nicht schon ein gewisser Punkt an Nähe überschritten ist. Also warte ich auf eine Antwort. Stunde um Stunde. Aber da kommt nichts. Gar nichts.

Nach 48 Stunden sehe ich ihn wieder, mit weichen Knien und etwas verlegen. "Hallo", sagt er lächelnd und reicht mir seine warme und kräftige Hand. Wie immer. Nie macht er überflüssige Worte. Zum Glück kann ich während der Stunde abschalten, alles um mich herum ignorieren und die Gedanken ins Leere laufen lassen. Am Ende fragt er bei der Verabschiedung, wie es mir geht und es kommt mir fast höhnisch vor. Weil ich doch eigentlich vor Anspannung schreien möchte, ihn schütteln und ihm dann erklären, dass man wenigstens ein "danke" zurückschreiben kann, das schon alles gesagt hätte. "Gut", sage ich, während die beleidigte Zurückgewiesene in meinem Innern mir die Anweisung gibt, mich schnellstens umzudrehen und den Raum zu verlassen.

"Mist", schreibt die Tatze in einer Email, nachdem ich ihr schriftlich Bericht erstattet habe. "Aber immerhin eine relativ klare (Nicht-)Aussage. Jetzt kannst Du Dich umorientieren!" Wenn das nur so einfach wäre.


 

Dienstag, 21. Oktober 2008

I can show you the world
Shining, shimmering, splendid
Tell me, princess, now when did
You last let your heart decide?

(Aladdin. A Whole New World)

In den letzten zwei Wochen war ich damit beschäftigt mir den Lehrer auszureden. Ich war schon früher gut darin, Herzensangelegenheiten in die Richtung zu steuern, in denen ich sie haben wollte. Wenn der Verstand eine Entscheidung getroffen hat, bete ich sie mir so lange vor, bis auch das Herz dran glaubt und das ist eine häufig erprobte und effektive Angelegenheit.

Party-Samstag. Zur Einstimmung schallt die Musik laut durch meine Wohnung, während ich aufgeregt und hektisch die entsprechenden Vorbereitungen treffe. Salat zubereiten. Duschen. Anziehen (ein Drama). Kleid oder Rock? Ringel oder Ajour? Stiefel oder Riemchenschuhe? Puh. Als ich schließlich die Tür hinter mir ins Schloß ziehe, gleichen die Räume dahinter einem Schlachtfeld.

Der Lehrer ist Gastgeber und begrüßt mich herzlich. Die Umgebung ist mir vertraut und alles fühlt sich leicht und gut an und das erwartete Hilfe-ich-bin-ein-Alien-Gefühl bleibt aus. Stattdessen tue ich so, als wäre es ganz normal allein auf eine Party zu gehen, wo man außer dem Gastgeber niemanden kennt. Ich beginne ein Gespräch mit einem Fremden und treffe dann tatsächlich noch zwei alte Bekannte. Es sind die Glücksgefühle, die mich immer wieder zum Lachen bringen. Mein armes Gegenüber fragt sich wahrscheinlich, welche illegalen Substanzen sich in meinem Mineralwasser befinden. Dann brauche ich aber doch noch ein bisschen Aufmerksamkeit und stelle mich dem Lehrer gegenüber. Ich lächele ihn an, blicke in seine warmen Augen, fange an zu erzählen, frage ihn nach seinem Leben, rede, höre zu, scherze und bringe ihn zum Lachen. Ich weiß, dass ich strahle und mir meine Lebensfreude aus allen Poren quillt. Er kann nichts dagegen tun und muss zurück grinsen. Jetzt reich mir deine Hände, denke ich, und lass uns ein Stück Weg zusammen gehen. Aber zum Glück hört er mich nicht, denn romantischer Kitsch ist nicht mein Ding, wenn es erst einmal ernst wird.

Es ist noch früh, als die Party zu Ende geht, also muss der Abend an einer anderer Örtlichkeit fortgesetzt werden. Ich klingele per Telefon den Monsieur aus dem Bett, dem ich meine Bedürftigkeit mitteile: "Rotwein!". Er ist ein guter Mensch und läßt sich bereitwillig davon überzeugen, dass ein Spontanbesuch eine fantastische Idee ist. Dort angekommen, kann ich nicht stillsitzen und springe und hopse durch seine Wohnung. "Du bist total gaga", teilt er mir nüchtern mit und ich nicke bekräftigend. "Komm, trink erstmal einen Schnaps", sagt er schließlich und ich gehorche. Aber wie soll man sich zusammenreißen, wenn im Bauch tausend schwirrende Hummeln einen kleinen Aufstand veranstalten?

Ich bin verliebt ins Leben und das ist schwer in Worte zu fassen. Also lässt mich der Monsieur herumhibbeln und holt schweigend seine Kamera. Beim Fotografieren muss man nicht viele Worte machen, was auch besser ist, denn ich bin zu nichts zu gebrauchen. Und dann gibt es eine Menge roter Wangen, verschmierter Lidstriche, geringelter Beine, gestiefelter Füße und ganze viele verwackelte Bilder, weil ich ewig brauche, um mit dem Gezapple aufzuhören und ihm schweigend meine Beine entgegenzutrecken. Aber langsam kommt die Schwere der Nacht und die Müdigkeit mit ihrer Ruhe. Denn irgendwann muss man auch mal schlafen.


 

Mittwoch, 8. Oktober 2008

Scheisse. Das geht doch nicht.


 

Mittwoch, 20. August 2008



"Sag mal...", sagt die Geschwätzige in der Anstalt gedehnt, "ich frage mich die ganze Zeit, ob du was mit dem Ex-Kollegen hast?" Rums. Ich bin wie vom Donner gerührt. Dann lache ich ein glockenhelles Unschuldslachen und demonstriere mit übertriebener Geste, wie absurd allein die Vorstellung ist. "Ich dachte ja nur", schiebt sie beschwichtigend hinterher, "weil du dich in den letzten Monaten so verändert hast." Ich drehe mich weg, peinlich berührt und tue so als wäre ich beschäftigt.

Mindestens drei Wochen habe ich ihn nicht gesehen. Gründe dafür gab es genug: sein Urlaub, ein von ihm abgesagter Kickerabend, meine Unlust ihn zu treffen. Irgendwie schien die Luft raus. Aber die Unterstellung der Geschwätzigen animiert mich zu einer Petze-Mail. Jetzt, wo ich nichts mehr von ihm will, kann ich alles riskieren. Als Reaktion erwarte ich, dass er mein Schreiben entweder ignoriert oder antwortet, wie völlig absurd die Vorstellung sei. Beide Reaktionen würden mich treffen, würden mir den Tag vermiesen. Aber ich kann es nicht lassen. Bald darauf kommt seine Antwort und ich muss kurz auflachen, um dann still in mich hinein zu grinsen. Ich bin froh und dankbar, dass er mich nicht durch unbedachte Worte verletzt hat, auch wenn ich es unvorsichtigerweise herausgefordert habe.

Später, als ich ihn anrufe, meldet er sich mit einem schelmischen "Ah, meine Ehefrau". Ich verschlucke mich vor Überraschung, huste und lache gleichzeitig und bin vollkommen perplex. Er ist albern und witzig, wie ich ihn vorher nie erlebt habe. Dann will er wissen, was ich so treibe, aber ich stammele nur irgendwelches Blahblah zusammen, weil mein Kopf leergefegt ist. Dafür erzählt er umso mehr. Vom Urlaub an der Ostsee, von Herrn Baby und seiner neuen Kita, von der beruflichen Entwicklung und dem aktuellen Stand mit dem Arbeitsamt. Sachen, die man sich halt so erzählt.

"Er ist zu stoffelig für Sie", versuchte es die Frau aus L. vor ein paar Wochen diplomatisch auszudrücken. Heute erinnere ich mich an ihre Worte. Sie hat recht, das weiß ich. Aber an Tagen wie diesem mag ich dieses unbeholfen Unpassende. Leider kann ich mit Emotionsamputierten nicht glücklich werden, denn der Gefühlsfetisch pocht eindringlich auf Befriedigung.

Aber süß ist er schon. Keine Frage.