Sonntag, 1. Februar 2009

Das Treffen mit dem Fremden kommt auch dieses Mal kurzfristig zustande. Das bedeutet, dass ich auf den Großteil der Vorfreude verzichten und mich außerdem in Geduld üben muss. Wie immer habe ich während der Zeit des Wartens mit heftigen Gefühlsregungen zu kämpfen, die von einem Extrem ins andere schwanken. Während in einem Moment noch Sehnsucht und Verlangen im Vordergrund stehen, ist im nächsten Augenblick konsequente Ablehnung vorherrschend. Aber ich lerne. Ich atme tief durch, lenke mich ein bisschen ab, bewerte die Situation erst, wenn ich wieder klar denken kann. Diese emotionalen Schnellschüsse haben nichts mit dem Fremden selbst zu tun sondern liegen in meiner Natur.

Als ich ihn sehe ist alles gut. Es ist ein bisschen wie heimkommen. Oder ankommen. Im Flur lege ich meine Tasche und meinen Mantel ab und betrete das Zimmer. Das Ritual am Anfang ist immer gleich. Er lächelt mir zu, legt mir eine Decke auf meinen Platz und wir betreten diese andere Welt. Es gibt nur noch das Jetzt, in dem sich trotz Auf- und Erregung eine vollkommene Ruhe in mir ausbreitet. Nur noch Sein. Ich atme die Stille, die mich umfängt, die Konzentration auf ihn & mich, weil es nur diesen einen Moment gibt und kein Platz für andere Gedanken übrig ist. Weil hier, bei ihm, der Raum für einen Teil von mir ist, der sonst nicht sein darf. Dem er ein Zuhause gibt.

Der Fremde balanciert mit großer Sicherheit die Rollen aus, spürt mich, fühlt meine Bedürfnisse und meine Verwundbarkeit, fragt nach meinen Wünschen und packt meine Seele an der Stelle, wo sie am zerbrechlichsten ist, mit starken sanften Händen, behutsam und vorsichtig, aber auch unnachgibig und fordernd. Er lässt nicht locker, wenn es sein muss. Er lässt locker, wenn es sein muss. Mein Vertrauen in ihn ist vollkommen.

Ob ich sauer war, will er wissen. Er meint die Zeit, zwischen den beiden Treffen, in denen ich ihn mehrmals um Termine gebeten habe. "Ja", sage ich ehrlich und wir reden über Eifersucht auf Menschen und auf die mit anderen verbrachte Zeit. Aussprechen was schmerzt, was weh tut, auch wenn es sich nicht ändern lässt.

Dieses Mal will ich nicht reden, will nicht denken, will nur spüren. Ich schließe die Augen, will nicht einmal sehen, weil ich mir dann selbst peinlich bin. Aber er lässt es nicht zu, denn es geht auch darum, Dinge bewußt zu tun, sich für sie zu entscheiden, wahrzunehmen, nachzuspüren, mit allen Sinnen. Sich all den widerstreitenden Gefühlen im eigenen Innern zu stellen. Zu seiner eigenen Leidenschaft zu stehen. Überhaupt: L e i d e n schaft.

Zum Glück redet er. Am liebsten würde ich all seine Worte irgendwo speichern, aufbewahren, damit ich sie später noch einmal anhören kann. Er fragt, was ich am Vorabend gemacht habe und ich muss lachen, denn es war der Abend mit dem Beuteschema, wie passend. Als ich ihm den Namen des Etablissements nenne wird er aufmerksam, lacht, erzählt. Der Fremden kennt mich mittlerweile ein bisschen, benutzt seine Fragen geschickt, spielt mit mir und ich nicke und erröte und liebe ihn für seine Aufmerksamkeit. Offenheit und Ehrlichkeit in allen Bereichen. Das gilt für ihn und für mich. Das ist immer das Beste. Die Basis.

Beim Abschied bin ich glücklich. Sicher. Die Ruhe bleibt auch danach noch lange in mir. Dieses Treffen war eine klare Entscheidung für ihn. Ich will mehr. Mit ihm. Und ich weiß, er wird es mir geben.