Mittwoch, 14. Januar 2009

Blinddate-03. Ost/West.

Im Chat hält mich der Delinquent charmant bei Laune, ist schnell und schlagfertig und manchmal ein bisschen anzüglich, worüber ich großzügig hinwegsehe. Es ist selten genug, dass ich mich gut unterhalten fühle, und kleine Abstriche nehme ich in Kauf. Später ruft er an. Sein Berliner Dialekt fährt mir durch Mark und Bein und schlagartig spüre ich Fluchttendenzen. Das Gespräch ist eine holprige Angelegenheit. Wir haben Schwierigkeiten in Gang zu kommen und es im Fluß zu halten, ganz anders als im Chat. Aber dann fragt er sehr direkt nach meinen Neigungen, was mir gefällt, weil er selbst scheinbar eher die softe Variante bevorzugt. Wie ich es konkret auslebe, will er wissen und ich erzähle ihm von dem Fremden, den ich ja doch nicht verschweigen kann, weil er so frisch und in meinem Kopf ständig präsent ist. Der Delinquent lässt sich durch nichts verschrecken. Kompliment.

Zwei Tage später treffen wir uns. Ich bin perplex, als ich ihn sehe, weil er überhaupt nicht mit der fiesen Beschreibung zusammenpasst, die er mir am Telefon gegeben hat. Schon wieder ein schöner Mann, denke ich, was mich angenehm verlegen macht. Dieses Gespräch ist leichter, obwohl wir beide spüren, dass bei unserer Begegnung zwei Welten aufeinanderprallen. Wir suchen Ähnlichkeiten und finden keine. Aber mir gefällt was er sagt und wie er es sagt, mir gefällt, dass er kein Schwätzer ist. Er ist bodenständig und arbeitet hart. Ich sehe ihm an, dass er ein körperlicher Mensch ist, ein Sportler, ein Kraftpaket. Er trägt einen hellen Anzug, etwas spießig und sehr solide. Obwohl ich nicht nachfrage, spüre ich, dass er in seinem Leben einiges durchzustehen hatte. In ihm stecken Geschichten mit Substanz. Er ist kein Langweiler, kein Nörgler, kein Einfaltspinsel. Er ist ein guter Mensch.

Was mit dem Fremden ist, will er wissen. Ob ich ihn wiedersehen werde. "Wahrscheinlich", gebe ich zu, "aber er hat wenig Zeit". Ob ich mich trotzdem nach einem anderen Mann umsehen kann, fragt er weiter und fügt hinzu, dass ein Bewerber mich wohl nicht würden teilen wollen, wenn er richtiges Interesse an mir haben würde. "Sprichst du von Liebe?", will ich wissen und er nickt nachdenklich. "Dann wäre die Sache mit dem Fremden vorbei", kommt es über meine Lippen und noch während ich es ausspreche bin ich sicher, dass es genau so sein wird.

Am Ende des Abends bezahlt der Delinquent die Rechnung, bringt mich trotz der Kälte bis vor die Tür und küsst mich zum Abschied. Ein Gentleman. Ich fühle mich an seiner Seite sehr weiblich. Sein Anderssein übt einen Reiz auf mich aus, genau wie seine Bodenständigkeit. Und ich frage mich, während ich die Treppen zu meiner Wohnung hochsteige, ob wir uns wiedersehen werden.