Freitag, 1. August 2008

Beim Auswickeln ist er vorsichtig. "Vom Schock erholt?", will er wissen und ich nicke zweifelnd, während er die Pflaster und Binden entfernt. Als ich die Wunde sehe, erschrecke ich. Viele Stiche, blau geschwollen und mit getrocknetem Blut verklebt. "So groß", sage ich leise. Er nickt. "Tut mir leid."

"Wo tut es weh?", will er wissen. "Überall", murmele ich. "Ja", gibt er zurück, er habe bis auf den Muskel schneiden müssen: Wundschmerz. "Es reicht bis zum Herzen", sage ich. "Das kann passieren", gibt er zurück und dann sagen wir beide nichts mehr. Vorsichtig wickelt er mich wieder ein. Das Herz hat er vergessen.


 

Mittwoch, 30. Juli 2008

Bevor der erste Schnitt gesetzt wird, frage ich ihn, ob er die Wunden mit kreuzförmigen Stichen vernähen könnte, wegen der Optik. Die Stellen liegen alle so ungünstig, da könne ich schließlich nicht einmal behaupten, dass ich die Narben bei Straßenkämpfen erworben hätte. Er grinst und fragt, ob kleine Totenköpfe auch in Ordnung wären. Na klar. Aber er bedauert. Ist schließlich keine Schönheits-OP.

"So, ich schneide", informiert er mich netterweise und kurz darauf kommt ein mädchenhaftes "Iiiiiiiiiiih" und auf dem Bauch liegend, den Arm verdreht, muss ich lachen und wackeln, weil er sich so wenig arzttypisch-seriös benimmt. "Örks, das sieht ja eklig aus", informiert er mich, "keine Ahnung was das ist... Kirsten, guck mal, das sah auf dem Ultraschall ganz anders aus, oder?" Ich kläre ihn auf, dass Ultraschall nur schwarz-weiß Bilder liefert, daher ist das Gesamtkunstwerk in Farbe so beeindruckend. Aber er ist schon dabei diverse lebensbedrohliche Krankheiten aufzuzählen und sie freundlicherweise im Anschluß allesamt auszuschließen. Aber dann geht das Geschrei schon weiter. "Boah, Sie spritzen hier alles mit ihrem dünnen Blut voll!", greint er mit vorwurfsvollem Ton und Kirsten holt ein paar Tücher und dann noch ein paar, während ich ihm erklären muss, dass dies meine subtile Rache dafür ist, dass ich zweieinhalb Stunden im Wartezimmer einer lautstarken Unterhaltung über offene Beine und der varierenden Form der Konsistenz von Eiter mitanhören musste.

War also eine erträgliche Angelegenheit. Trotzdem. Gut, dass die Sache vorbei ist. Jetzt muss nur noch alles untersucht werden und harmlos sein und in 48 Stunden darf ich auch schon wieder duschen. Bis dahin bitte durchgehend bewölkter Himmel. Dankeschön.



Ein paar Stunden später: Ich fühle mich vollkommen zerschnippelt. Außerdem habe ich Schmerzen. Und ich will auf den Arm.


 

Dienstag, 29. Juli 2008

Ein (be-)ständiger Wechsel zwischen Wollen und Nichtwollen, zwischen Zuneigung und Abwehr, zwischen Gut sein und Böse sein. Das Herumspringen macht müde, denn es ist anstrengend und zehrt an den Nerven. Was will ich, was will ich nicht? Was kann ich, was kann ich nicht? Was muss ich, was muss ich nicht? Ich finde keine Antworten auf meine Fragen, denn was gerade noch mit einem deutlichen "ja" beantwortet wurde, ist in der nächsten Sekunde ein vehementes "nein".

Früher wusste ich was ich will. Eins, zwei, drei, konnte ich aufzählen, was das Herz begehrt. Heute liegt alles im Nebel, taste ich mich vorsichtig an schemenhafte Umrisse heran, um herauszufinden, was dahinter steckt und um zu überprüfen, ob es wohlmöglich etwas ist, was ich behalten und behüten will. Mit dabei ist die ständige Bereitschaft zur Flucht und ein Übermaß an Misstrauen, das meine Urteile oft hart und manchmal ungerecht werden lässt. Viel gefunden habe ich bisher jedenfalls nicht.

Suchen. Finden. Bestenfalls mich selbst. Aber das ist verdammt schwierig, so ohne Plan.


 

Montag, 28. Juli 2008

Das Magengrummeln ist so laut, dass ich davon aufwache.

Ich muss die Goldwaage wegwerfen und sie durch eine positive Gleichgültigkeit ersetzen. Menschen melden sich bei mir, wenn sie sich ausheulen möchten, wenn sie Langeweile haben, wenn ihnen danach ist. Manchmal trampeln sie ungerührt über meine Grenzen hinweg, hören es nicht, wenn ich zaghaft und dann immer deutlicher um Vorsicht bitte, weil es jenseits ihrer Vorstellungskraft liegt, wie sehr Worte verletzen können.

Vielleicht ist es besser, sich damit abzufinden. Vielleicht bin ich zu empfindlich. Vielleicht ist es trotzdem besser, als allein zu sein.

Meine Einschätzung stimmt nicht mit der Realität überein. Ich glaube zu lange an ein ausbalanciertes Miteinander, selbst wenn ich längst bemerkt habe, dass einer die Strippen zieht und der andere zappelt. Augen zu und so tun als ob. Meinen Glauben halte ich eisern aufrecht, zumindest so lange, bis ich es wage Ansprüche zu stellen. Bis ich eine Reaktion erwarte, bis ich Nachhake und dann ein bisschen Drängel, weil ich doch einfach nur eine Geste brauche. Nicht einmal großartige Taten, nein, nur ein paar Worte, keine große Sache und doch zuviel des Guten. Und ich warte und warte, ungeduldig und hibbelig, bis die Laune umschlägt, bis die Traurigkeit kommt. Die abwehrende Reaktion, wahlweise das Ausbleiben einer Reaktion, könnte die Wahrheit nicht deutlicher zeigen. Und jedes Mal tut es wieder weh.

Der gefühlte Arschtritt ist heftig, aber verdient. Denn Ansprüche nerven, Verpflichtungen nerven, weil Freundschaft offensichtlich auch dann bestehen kann, wenn einer nimmt und einer gibt. Und warum überhaupt Freundschaft? Davon war sowieso nie die Rede.

Ich habe Bauchschmerzen.


 

Samstag, 26. Juli 2008

Keine Lösung, keine Hilfe. Eine Arbeitswoche mit gedrücktem Ignore-Schalter. Ich versuche nicht nachzudenken, nicht den Schmerz der Enttäuschung zu fühlen, die Verletzung herunterzuschlucken, meinen Platz hinten am Ende der Reihe zu finden und zu testen, ob es wohlmöglich einfacher ist, wenn ich nicht schreibe. Schreiben heißt nachspüren und hineinhorchen. Und manchmal muss man ausprobieren, ob man ohne nicht besser dran ist. So oder so. Das Mistvieh steht mit breitem Grinsen vor der Tür.

Vielleicht kommt es deswegen so, wie es kommen musste. Vielleicht kommt es so, weil ich es unbewusst erwartet habe. Vielleicht war ich mir auch zu sicher, es besiegt zu haben. Vielleicht ist es nur eine kurze Phase und dann ist alles wieder gut?

Mistvieh. Ich habe dich nicht vermisst. Ich hasse dich und kann scheinbar nicht ohne dich sein. Am Anfang der Woche habe ich versucht, dir freundlich gegenüber zu treten und dir die Hand zu reichen. Ein Friedensangebot. Weil ich wollte, dass wir die Sache miteinander regeln, ohne ein großes Ding daraus zu machen. Am Mitwwoch hast du mir den Arm umgedreht, bis ich die Augen verdreht habe. Am Freitag hast du mir den Arm ausgerissen, du verdammtes Arschloch. Ich verachte dich und deine Gewalttätigkeit, hasse mich, weil ich doch irgendwie verantwortlich für dich bin. Ich habe ein Monster geboren.

Unsere Zusammentreffen funktionieren nach deinen Spielregeln. Ich muss nicht einmal einwilligen, nein. Denn die Wahlfreiheit wird nur von denen gesehen und für möglich gehalten wird, die nicht beteiligt sind, während du mir das Messer auf die Brust setzt, zustichst und in der Wunde bohrst.

Wie weiter? Ich habe keine Ahnung. Will etwas schreiben, will einer Eingebung folgen, aber da ist nichts. Also abwarten. Aushalten. Anderen beim Schreiben zuhören und mit Augen & Gedanken fixieren.

So plötzlich, wie die Zerstörung begonnen hatte, war sie vorbei. Kein Wenn, kein Auch, kein Aber, kein Obwohl - von einem Augenblick auf den anderen war alles vorüber, herrschte Stille.
(Haruki Murakami. Hard-boiled Wonderland)