Sonntag, 10. August 2008

Don't save me when I'm startin' to drown
Don't use me when you don't want me around
(Lime Spiders. Slave Girl)


Seit ich mich im Juni zum Szenetreff gewagt habe, kann ich nicht mehr davon lassen. Alles hat sich verändert, ist offener geworden, die Besucher scheinen jünger zu werden (ich älter) und die Lokalität bietet die Möglichkeit herumzustreifen und hier ein paar Worte zu wechseln, dort stehen zu bleiben, zu gucken, zu staunen, Kontakt aufzunehmen. Ich fühle mich dort nicht anders, obwohl ich fremd bin. Es gefällt mir.

Als ich die Bar betrete spüre ich das vibrierende Leben. Es ist fast ein bisschen wie früher, als ich noch so richtig dazu gehörte, denn ich werde bewunken, gedrückt und geküsst. Ein gutes Gefühl. Aber schwups, zieht mich eine alte Bekannte zur Seite, sie müsse mir etwas sagen. Der Ex sei da. Mein ganz persönliches Desaster2004, von dem noch ein riesiger Haufen Enttäuschung, Wut und schlechte Gedanken übrig geblieben sind. Verdammt. Was nun?



Dem Feind ins Auge blicken, entschließe ich mich, denn es ist ein besonderer Tag und vielleicht bringt er mir Glück. Ich drängele mich durch die Menschenmassen bis ich vor seinem Tisch stehe. Wir sehen uns an, prüfend und lange und dann lächele ich vorsichtig. Es ist ein Zeichen. Er steht auf und wir nehmen uns in die Arme. Mein Herz schlägt schnell, aber äußerlich bin ich die Ruhe selbst, als ich neben ihm auf die Bank rutsche.

Er sieht gut aus. Besser als damals. Gesund und attraktiv, ein smarter Frauentyp. Zu schade für eine allein, denke ich im Stillen. Wir beginnen zu reden, das können wir beide gut, und die Smalltalk-Themen ermöglichen uns einen vorsichtigen Abstand. Aber diese Art der Oberflächlichkeit ist nicht meins und nicht seins und so zupfe ich ihn schließlich am Ärmel und frage, ob wir vor die Tür gehen wollen. Frische Luft für einen großen Schritt. Wir setzen uns eng nebeneinander, Oberschenkel an Oberschenkel, Schulter an Schulter. Vielleicht ist es die körperliche Nähe, die uns wieder näher zueinander führt. Er erzählt und zeigt seine Schwächen ganz offen, macht sich durch Worte verwundbar und ich sehe in seinen Augen das Vertrauen funkeln, welches er mir zu Füßen legt.

Und dann fange ich an zu erzählen. Wie hart die Zeit war, die nach der Trennung folgte. Wie es immer schlimmer und schlimmer wurde. Seine Augen werden immer größer, er schüttelt fassungslos den Kopf und irgendwann kommen die Tränen. Er weint für mich und hält mich fest, die Arme um meine Schultern gelegt. Ich kann nicht glauben, was gerade passiert. Aus dem Arschloch von damals wird wieder der Mann, den ich begehrte, in den ich mich verliebt habe. Ich sehe wieder das Gute, das Liebenswerte an ihm und ich frage mich, wieso es nötig war, alles auszublenden, um ihn nur richtig hassen zu können.



Er erzählt mir von seiner Beziehung. Wie schwer es oft ist. Seine Ehrlichkeit tut mir so gut, denn wie hart wäre es gewesen, wenn er mir von einem großen Glückstaumel erzählt hätte. Stattdessen bleibt er bei der Wahrheit und ich höre zu, ganz ohne Groll, ganz ohne Neid. Aber was jetzt mit mir und der Liebe wäre, will er wissen. "Mich will keiner", sage ich und meine es so. "Also ich wollte dich, wenn du dich bitte daran erinnerst", sagt er und grinst. "Ich wollte dich sogar heiraten." Es ist ein bisschen lustig, als er das sagt, und wir müssen beide lachen. Heute ist der Abstand dafür groß genug, weil wir beide wissen, dass ich gute Gründe für das Nein hatte. Wir passen nicht zueinander.

Es wird eine lange Nacht. Wir reden über unsere Trennung und die Schmerzen, die überstanden werden mussten. Darüber, wie Kopfkino Menschen entfremden kann. Welche Fehler wir gemacht haben. Er seine und ich meine. Wie wir uns verloren haben, aneinander vorbeiredeten und uns ins Nirgendwo verliefen. Wie weh das Abschiednehmen tat und das Gefühl, den anderen verfluchen zu müssen. Seine Worte streicheln mein Herz.

Es ist, als hätte ich in meinem Lebensbuch zu einem früheren Kapitel zurückgeblättert. Wie durch ein kleines Wunder darf ich schlechte Zeilen ausradieren und korrigieren, durch neue, andere Worte ersetzen. Ich habe Erklärungen bekommen und konnte mein Bild gerade rücken. Er ist kein rücksichtsloser Idiot, kein egoistisches Arschloch, sondern er war damals genauso verzweifelt wie ich. Wie heilsam ist es, sich das einzugestehen zu dürfen.