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Mittwoch, 6. August 2008
Noch nie habe ich bei der Frau aus L. angerufen und gesagt: "Bitte 1 Termin für Zwischendurch." Kein Problem. Ich kann sogar wählen ob sofort oder später und schon sitze ich in ihrem lichtdurchfluteten Zimmer, während ein kühler Wind durch die weißen und flatterigen Vorhänge streicht und mein erhitztes Gesicht kühlt.
Sie tut mir schon leid, bevor ich überhaupt anfangen habe. Alles bekommt sie mit Wucht vor die Füße geworfen und ein paar Tränen laufen mir die Wangen hinunter. Es ist ein großer Haufen Hoffnungslosigkeit und Verzweifelung. Sag was! Tu was! Erkläre mir die Welt! Rette mich! Ganz oben prangt das überdimensionale Fragezeichen, das bis in den Himmel reicht und ich blicke ins Leere und warte auf ein Ende.
Wir schweigen. Und dann beginnt sie von der Traurigkeit zu sprechen. Davon, wie ich mich immer zurückhalte, abwiegele, mit aller Kraft verdränge, was ausgesprochen werden muss. Und selbst dann, wenn all die Worte schon irgendwann einmal gesprochen wurden, muss es noch einmal raus und vielleicht auch noch ein zweites, drittes, viertes Mal. Trauern, damit irgendwann Ruhe einkehren kann. Weinen, damit irgendwann der Abstand ausreicht, um die Vergangenheit gelassener zu nehmen.
Ich versuche ihr zu erklären, dass es möglicherweise kein Halten mehr geben wird. Dass ich mich im Tränenmeer ertrinken sehe, ohne Rettungsring, während das Wasser steigen und steigen wird, bis ich qualvoll am eigenen Elend verrecke. Weil ich weiß, dass kein Verlass auf diejenigen ist, die für das Retten mit Geld bezahlt werden. Und sie nickt und redet vom Krisendienst, dann, wenn gar nichts mehr geht, aber es fällt mir schwer an Hilfe zu glauben, wenn es eigentlich zu spät dafür ist.
Ich wünsche mir die Scheißegal-Laune herbei. Meine Worte werden immer eindringlicher. Ich will, dass sie es ausspricht. Mit ihr gemeinsam gehe ich Schritt für Schritt dem Endzeit-Szenario entgegen, bis sie schließlich die Möglichkeit in Erwägung zieht. Jedoch anders als erwartet. "Pillen decken die Traurigkeit zu. Das ist nichts für sie." Sagt sie einfach so. Weil ich an eben dieser Traurigkeit arbeiten muss. "Wir haben noch einen langen Weg vor uns." Herzkrampf. Gute Frau. Dankedankedanke.
Die Entscheidung treffen, Traurigkeit zuzulassen. Einen Schritt ins Ungewisse machen. Kontrollverlust gestatten. Das war noch nie meine Stärke. Ganz im Gegenteil.
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