Mittwoch, 12. März 2008

Menschen hier und Menschen da. Sie sind überall um mich herum, wo ich auch hinsehe, ob ich mich drehe oder die Hände vor mein Gesicht halte. Unzählige, ungeahnt viele. Einer reicht mir die Hand, andere tragen mich auf Händen, halten und drücken mich, streichen mir über's Haar oder blinzeln mir aufmunternd zu, grinsen mir ins Gesicht, lachen mich an und teilen ihr Glück mit mir. Einige wenige strecken mir die Zunge heraus oder knuffen mich in den Rücken, die blöden Spielverderber. Aber die anderen, die Guten, sind in der Überzahl und lassen mich die Zungerausstrecker und Knuffer aushalten und schließlich vergessen. Vielleicht hätte ich diese vielen Menschen schon früher sehen können, sie viel früher bemerken müssen. Aber ich saß auf meinem Bettrand, schaute auf den sommerlich blühenden Baum im Hinterhof, auf die saftig grünen Blätter, die mit der Zeit erst gelb und dann braun wurden, bis sie schließlich hinab fielen und die Pflastersteine im Hof bedeckten. Die Äste wurden kahl und plötzlich sah ich von meinem Schlafzimmer aus in die Küche meiner Nachbarn, weshalb ich schnell die Vorhänge zuzog und mich in meinem Bett ganz klein zusammenrollte, die Decke über den Kopf zog, die Nase im Kuschelkissen vergrub und wünschte, in ewigen Schlaf zu versinken. Dann brachte der Winter ein wenig Schnee, unschuldig weiß und bitterkalt und ich sah wieder zu den gelb erleuchteten Fenstern hinüber, betrachtete die vergilbten Gardinen und die vertrocknete Topfpflanze auf dem Fensterbrett, witterte irgendwo dort draußen eine Prise Leben und legte meine heiße Wange sehnsüchtig an die kalte Fensterscheibe.

Irgendwann in dieser Zeit, irgendwann nach Weihnachten und vor Silvester entschied ich mich für das Leben. Für mein Leben. Und die Entscheidung schmerzte, weil sie ein Eingeständis des Vergangenen war, was nicht in Worte gefaßt werden kann, weil dort nur ein dunkles und schmerzendes Nichts ist.

Zweieinhalb Monate später weiß ich, dass die Entscheidung richtig war. Anstrengend, aber notwendig. Und dass sie glücklich macht. Denn um mich herum sind Menschen, die mir vielleicht schon vor Monaten oder Jahren die Hand entgegenstreckten und die ich vorzog zu übersehen, auf keinen Fall aber hätte nehmen können. Auch jetzt tue ich mich schwer damit, hole die Kraft lieber aus meinem Inneren, aus dem was ich in mir sammle, Tag für Tag. Es wundert mich, dass überhaupt noch Energie da ist, nachdem ich meine Lebensfreude so verschwenderisch verpulvere. Jeden Tag rechne ich mit dem Ende, damit, dass alles aufgebraucht ist. Aber dann geht es weiter, heute und morgen und übermorgen und vielleicht sogar noch in der nächsten Woche, während ich staunend und grinsend in die Welt blicke und mich wundere. Einfach nur wundere. Über mich.


 


Immerhin ziemlich bis sehr gut.

Ich bin vielleicht sicher, dass ich mich wieder verlieben könnte, wenn ich wollte.