Freitag, 7. März 2008

Nach dem Tod habe ich das Gefühl, meine Mutter sprechen zu müssen oder zu wollen oder zu sollen. Wir haben seit vielen Monaten keinen Kontakt mehr, aber jetzt ist da etwas zwischen Wunsch und Pflichtgefühl, zwischen innerem Drang und objektiver Logik. Seit einer Woche nehme ich jeden Abend den Hörer zur Hand und lasse ihn doch wieder sinken, schaffe es nicht einmal die Nummer zu tippen. Warum geht es nicht? Was ist ein Telefonat verglichen mit dem Tod? Aber alles sträubt sich, Kopf und Herz und auch der verdammte Rest, denn ich habe Angst, ungreifbare und unaussprechliche Angst, auch wenn ich gar nicht weiß, was es eigentlich zu fürchten gibt.

Ihre eMails sind, ganz untypisch für sie, neutral gehalten. So neutral sie eben sein können, wenn die eigene Schwester gestorben ist und sich noch dazu die Tochter jeden Kontakt verbeten hat. In einem solchen Moment komme ich mir noch viel bösartiger vor, als ich es sein möchte. Hinterhältig und gemein, weil ich weiß, dass sie denkt, ich würde meine Schweigsamkeit zelebrieren, nur um ihr Schmerz zuzufügen. Dabei ist der Kontaktabbruch meine einzige Möglichkeit mich vor ihr zu schützen, so lange sie so stark und ich so schwach bin. Wir sind beide gefangen in unseren Gefühlen, die vor Jahren unsere Beziehung zueinander definierten - zu wenig gute, zu viele schlechte.

Ob wir zusammen zur Beerdigung fahren, fragt sie in ihrer eMail. Es wäre ein zusätzlicher Schmerz für mich, wenn wir getrennt voneinander in H. auftauchen würden, schreibt sie. Und schon laufen die Tränen, denn sie trifft einen wunden Punkt, der nicht nur sie schmerzt. Als Nicht-Familie zur Familie fahren - ein Szenario, so furchterregend und grässlich, das ich es mir nicht vorstellen mag. Aber ein Anruf macht nicht alles wieder heil und der schwere Stein im Magen wiegt so schwer, zu schwer, als dass ich ihn einfach wegschieben könnte. Ich lese von einem Blumenschmuck mit unser beider(?) Namen, eine logistische Frage, aber mein Herz krampft sich zusammen, weil ich immer nur daran denken kann, was wäre, wenn sie es wäre.

Meine Mutter wollte immer eine gute Mutter sein. Da bin ich ganz sicher, auch wenn ich es immer wieder vergesse. Sie wollte eine gute Mutter sein, ganz sicher, e i n e g u t e M u t t e r. Und nur weil ich denke, dass sie das nicht geschafft hat, ist es noch lange kein Grund dafür, mich wie eine schlechte Tochter aufzuführen und ihr all das an Gefühlen heimzahlen zu wollen, was sie mir vor Jahren zugefügt hat.