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Montag, 9. Juni 2008
Als wir am Freitag beim Picknick im Park sitzen, wollen die Jungs wissen, ob ich am Wochenende mitkommen will. Raus an den See. Sie tun so, als ob es eine Selbstverständlichkeit wäre. Natürlich will ich. Natürlich! Was für eine Frage.
Der Kinderwagen ist beladen mit Badezeug und Handtüchern, Nudelsalat, Bouletten, Brötchen und Schokoladenkuchen, Decken, Wasserflaschen und Apfelsaft, Spielzeug, einer Luftmatratze und Wechselwäsche für den kleinsten Ausflügler. Wir sind muttimäßig ausgerüstet und für alle Eventualitäten gerüstet. Es sieht fast so aus, als hätten wir für zwei Wochen Urlaub gepackt. Wir stapfen durch den Wald, dann am Ufer entlang, bis wir das schönste Plätzchen gefunden haben. Grüne Stille, Wasserplätschern und Entengequake.
Herr Baby, der kleine Sohn vom Lieblingskollegen, klettert abwechselnd auf dem einen und dann auf dem anderen herum, patscht mit seinen verschmierten Händen in unsere Gesichter und lacht und strahlt mit der Sonne um die Wette. Ich schnappe ihn, kitzel ihn, werfe ihn in die Luft, fange ihn wieder auf und er juchzt und kreischt vor wonniger Glückseligkeit. Fast bin ich ein wenig neidisch auf dieses Momentaufnahme unbeschwerten Kinderglücks.
Als der Tag zu Ende geht bin ich erschöpft vom schwimmen, spielen und toben. Im Auto lauschen wir müde der Musik aus dem Radio. Aber als wir in der Heimat ankommen, spüre ich einen Stich, als ich mich von den Jungs verabschiede. Ich freue mich auf meine ruhige Wohnung und das Alleinsein, die Erholung. Aber ich sehne mich schon beim Abschied danach, den Mann wieder zu sehen. Was schmerzt, ist dieses Gefühl mehr zu wollen und nicht zu dürfen. Weil er nicht will. Also schnell an etwas anderes denken - Fußball, Arbeit, Irgendwas. Außerdem ist es Abend und bald kommt der Schlaf, der alle wehmütigen Gedanken innerhalb eines Augenblicks wegwischen wird. An seine Stelle tritt die traumlose Erholung ohne Wünsche, Sehnsucht, Herzflattern. Zumindest bis zum nächsten Morgen.
Sonntag, 8. Juni 2008
"Hase", schreibt Mr. Evil im Chat, "wir haben uns 100 Jahre nicht gesehen und in einer Stunde beginnt da so ein Treffen, direkt bei dir um die Ecke. Lass uns hingehen."
Schon beim Umziehen spüre ich die Vorfreude auf das, was in der Luft liegen wird. Es ist nicht nur eine Verabredung, sondern auch meine Rückkehr in die Szene. Eine Rückkehr zu einem Ort, an dem Leidenschaft und Lust die Hauptrolle spielen und an dem ich mich früher wohl und geborgen gefühlt habe. Und jetzt? Ich weiß es nicht.
Er ist zur verabredeten Zeit nicht am Treffpunkt, also mache ich mich allein auf den Weg und genieße die glucksende Aufregung im Bauch. Es ist voller als erwartet. Ich drängele mich durch die vielen dunklen Gestalten zur Tür, bis sich eine Hand auf meine Schulter legt, mich umdreht und in die Arme schließt. Vertraute und lachende Gesichter erscheinen, die beginnen, aus einer Welt zu erzählen, die so lange weit weg war und die doch so vertraut ist. Innerlich muss ich grinsen über die Absurdität der Situation. Ich. Dort. Endlich.
Dann steht Mr. Evil vor mir, wir umarmen uns kurz und ich hole Zigaretten für ihn und Bier für uns beide. Drei Jahre waren wir abgetaucht, er für sich und ich für mich, aber nun führt uns wieder ein Weg zueinander und wir erzählen uns über unser Leben in der Zwischenzeit. Unsere Probleme sind Allerweltsprobleme. Seine Freundin, mein Verknalltsein, unsere Arbeitssituationen, unsere Träume & Wünsche. Keine anhaltende Dunkelheit mehr, kein Grau in Grau, kein Schlammloch, aus dem ich für ein paar Minuten den Kopf in den Himmel strecke. Stattdessen Zuversicht und der Glaube daran, dass alles gut ist. Klappt das eine nicht, wird etwas anderes das Richtige sein.
Ich erzähle ihm vom Lieblingskollegen. "Die Karten werden neu gemischt, schließlich seid ihr jetzt keine Kollegen mehr", stellt er diplomatisch fest und ich wiege bedächtig den Kopf hin und her, während ich ihn zweifeln ansehe. "Dein Problem ist, dass du immer so verdammt nett bist", sagt Mr. Evil. "Deswegen kann er sich gar nicht vorstellen, was er alles verpasst." Er grinst süffisant, nimmt Zigaretten und Feuerzeug und geht nach Draußen. Meine Blicke schweifen durch den Raum und ich beobachte ein Paar, das mir den Rücken zukehrt. Der Mann hält seine Frau fest auf seinem Schoß und hat den Kopf an ihre Schulter gelegt, während sie ihm leise etwas zuflüstert. Ich schlucke schwer. Mr. Evil kommt zurück und legt seine Hände nebeneinander auf den Tisch. "Du siehst immer so brav aus, so harmlos", sagt er und blickt mich ernst an. "Leg die Karten auf den Tisch und sag ihm, was Sache ist." Ich werde rot und schüttele verschämt den Kopf. "Doch, dann hat er was für's Kopfkino. Und wenn er es nicht wenigstens interessant findet, willst du ihn doch sowieso nicht." Ich seufze und zucke resigniert mit den Schultern. Ich will es nicht hören, will auch nicht drüber nachdenken. Ich will einfach nur unschuldig schwärmen. Ich will nichts Kompliziertes, nichts Schwieriges, sondern will Wolkenhopsen und Zuckerwattelaune.
Wir verabschieden uns. Ich weiß schon jetzt, dass ich beim nächsten Mal alleine gehen werde. Männer angucken. Flirten. Und ich überlege, ob der Sommer 08 nicht genau das Richtige für eine kleine Affäre sein könnte.
Dienstag, 3. Juni 2008
Der Schreck über die sich überschlagenden Ereignisse sitzt tief. Wie gelähmt schiebe ich bei der Arbeit ein Papier über das andere, tippe ein paar Zeilen, breche ab, was ich gerade mache und frage mich, wozu ich überhaupt noch hier sitze. Keiner weiß, wie es weitergehen soll, ohne ihn.
Je klarer mir seine Gründe werden, je genauer er mir erklärt, warum er handeln musste, wie er handelte, desto entsetzter bin ich über die Zustände des Gesamtgefüges. Über meine Ignoranz und die vorangegangene Unfähigkeit, mich anderweitig umzuschauen, trotz des Wissens, wie krank mich die Arbeit machte, bevor der Lieblingskollege dort anfing. Nun fehlt er mir nicht nur als Mensch, den ich über alle Maßen schätze, der mir viel beigebracht hat und der mir eine ordentliche Lektion Gelassenheit mit auf den Weg gegeben hat, sondern er fehlt auch in seiner Rolle als Retter und Beschützer vor der bösen Oma Krokodil. Und genau deswegen plagt mich jetzt auch Enttäuschung und Wut darüber, dass er mich einfach allein gelassen hat, in diesem Theater.
Dienstag, 3. Juni 2008
Missverständnis, Abmahnung, Kündigung.
Manchmal bekommt man innerhalb kürzester Zeit eine Lektion in Dingen, die man lieber gar nicht wissen will. Zum Beispiel wie die Chefetage ungewollt, wegen eines hausgemachten Missverständnisses, einen seiner besten Mitarbeiter los wird.
Nur dumm, dass es ausgerechnet mein Lieblingskollege war.
Samstag, 31. Mai 2008
Ich habe H. (H1, H2, H3, H4) in einem SM-Chat kennen gelernt. Mittlerweile ist das schon acht Jahre her. Seine Art gefiel mir, dieses Unverklemmte, mit dem er mir das Gefühl vermittelte, nicht nur alles sagen zu können, sondern auch alles fragen zu dürfen - peinliche Dinge inklusive. Wir chatteten oft und gern miteinander, aber wir spielten in der gleichen Liga und so hatte keiner von uns das dringende Bedürfnis, uns unbedingt treffen zu müssen. Vertraute Unbekannte. Ganz normal im Internet.
In your room / There's a bed in the corner / In your room / There's a view over the town / In your room / Your typewriters telling stories / In your room / There are you waiting for me / In your room
Zwei Jahre später begegneten wir uns zum ersten Mal. Ich sah ihn im verabredeten Café stehen, ganz in schwarz, wie er mich mit einem abschätzenden Grinsen betrachtete. Wir küssten uns zur Begrüßung unter einem Mistelzweig, ich schlang meine Arme um ihn und wollte ihn nicht mehr loslassen. Aus einem geplanten Abend mit H. wurde ein verlängertes Wochenende mit ihm und meinem damaligen Freund und am Ende waren wir allesamt ziemlich verdattert über das, in was wir da hineingestolpert waren. Es war wunderbar, aber es ging nicht gut aus. Nicht mit dem H. und auch nicht mit dem damaligen Freund und schon gar nicht in der Kombination.
When I look into your eyes / I look into a mirror / When I look into your eyes / I can see myself / Kings and queens / They have lost their heads / But I've lost my heart / In your room / In your room
Der Kontakt zwischen H. und mir war schwierig und immer eine unvollkommene Balance aus Nähe und Distanz. Ich war erst genervt und dann verletzt, als ich bemerkte, dass sein Hang zu Halbwahrheiten ganz offensichtlich System hatte. Trotzdem konnte mich nicht von der Vorstellung trennen, dass wir irgendwann mal ein Paar werden würden. Für immer. (Natürlich.) Weil es sich in seinen Armen so gut anfühlte. Weil er mir Selbstvertrauen schenkte, so dass ich mich selbst kaum wiedererkannte. Weil er mir gut tat.
I'd like to crawl into you / Come cover me with love / I'd like to crawl into you / Come cover me with love / I'd like to crawl into you / Come cover me with love / Til were had enough / And we never get enough / In your room
Sechs Jahre sind vergangen und die letzten Minuten vor dem Wiedersehen sind voll von kribbeliger Vorfreude & Herzklopfen. Er sieht anders aus als damals, er trägt hell. Wir nehmen uns in die Arme und es fühlt sich ein bisschen wie früher an, aber als wir uns später gegenüber sitzen, wollen die Worte nicht kommen, will kein Gespräch entstehen. Ich blicke ihm in die Augen und er ist weit weg, so weit, dass ich ihn nicht erreichen kann, obwohl uns kein halber Meter voneinander trennt. Er lebt jetzt für sein Hobby. Er fotografiert. Bei diesem Thema blitzt die Leidenschaft in seinen Augen und sie erlischt, sobald ich etwas von mir erzähle. Erst, als wir uns voneinander verabschieden, auf der Schwelle meiner Wohnungstür, kommt er mir nahe. Er legt die Arme um mich und drückt mich an sich oder drückt sich an mich. Jedenfalls stehen wir eng umschlungen da, mein ganzer Körper berührt seinen, von oben bis unten, die Wangen aneinander, Brust, Bauch, Schenkel - so nah. Die Intensität dieser Nähe fühlt sich gut an und sie hält lange dreißig Sekunden, bis er mich freigibt und mir einen Blick zuwirft, den ich nicht deuten kann. Sehnsucht, Abschied, Traurigkeit. Ich weiß es nicht.
There are worlds beneath the world / And they are covered under blankets / In your room / In your room
Abschiednehmen von Träumen. Das ist so schwer und schmerzlich. Wir haben uns in einer Phantasie verloren, die nur in unseren Köpfen existierte, ohne einer Rückversicherung in der Realität. Sechs Jahre, in denen er fast erwachsen geworden ist und in denen ich von einem dunklen Abgrund in den nächsten gestolpert bin. Da sollte mir schon mein logischer Verstand sagen, dass es so kommen musste. Nur gut, dass mein Herz mir sagt, dass irgendwann ein Mann kommen wird. Der mich liebt. Und dass ich mich dann nicht mehr mit Phantasien begnügen muss.
(Fury in the Slaugterhouse. "In Your Room")
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