Mittwoch, 17. Dezember 2008

Passend zum Abendessen kommt das Mistvieh auf eine Stippvisite vorbei und will einfach nicht wieder verschwinden. Nach so langer Zeit. Nach so vielen Wochen. Fast war ich überzeugt, dass es für immer gegangen wäre. Als es jetzt unvermittelt auftaucht bin ich wie gelähmt, bin geschockt und unvorbereitet. Mein Wille ist schwach und der Kampf kurz, so überrumpelt bin ich in diesem Moment. Ich wähle den altbekannten Weg, den Weg des geringsten Widerstandes und am Ende leuchtet mir in großen Lettern das Wort V-E-R-L-O-R-E-N entgegen.

Am Morgen ist mir übel. Die Quittung dafür, dass ich das, was ich am Abend hätte spüren müssen, womit ich mich hätte auseinandersetzen müssen, einfach betäubt habe. Aber die Verlockung war mächtig, denn Schlechtsein und Versagen ist einfach und vertraut.

Ich wünsche mir, das elendige Gefühl loszuwerden. Will alles Schlechte in den Rinnstein kotzen: die Enttäuschung und Wut, den Ärger und den Hass, die Schwäche, die Leere und die Einsamkeit. Aber dazu ist es zu spät, denn das was herauskommen würde, wäre nur richtige Kotze und nicht das, was Erleichterung und Besserung schaffen würde.

Minuten später sitze ich in der U-Bahn und werde ohne Fahrkarte erwischt. Es ist der bekannte Tropfen, der in diesem unpassenden Moment die Tränen hervorlockt. Es sind viele, sehr viele, die mir geräuschlos über die Wangen laufen, während ich im diesigen Grau durch die Straßen zur Anstalt laufe. Im Hausflur angekommen wische ich mir das Gesicht ab und putze mir die Nase, sammle mich, schließe die Tür auf . Die Kolleginnen winken, grüßen und lachen. Aber dann sehen sie, dass etwas nicht stimmt, springen auf, wollen wissen was los ist. Ein Fehler, denn Mitgefühl ist der Feind der Verdrängung. Der Damm bricht. Sie tun mir so leid, weil sie mich ertragen müssen und ich tue mir leid, weil ich mich ebenfalls ertragen muss. Ich schweige über die Gründe. Wie immer.

"Erst dachte ich, es wäre jemand gestorben", sagt die eine Kollegin kopfschüttelnd, nachdem ich mich wieder beruhigt habe und ich lächele entschuldigend. Niemand außer der Hoffnung, denke ich theatralisch und spüre, wie die Vernunft mahnend den Finger erhebt, weil meine Gedanken so dumm sind und es langsam an der Zeit ist, sich wieder ernsthaft zusammenzureißen.