Sonntag, 12. Oktober 2008

Das Ende der Arbeitswoche soll rund sein und sich gut anfühlen. Stattdessen spüre ich unbequeme Ecken und Kanten, die den Tag mühselig und anstrengend machen. Aber ich muss mich mit den Gegebenheiten arrangieren. Weil es nötig ist. Weil es vernünftig ist. Und weil ich weiß, dass dieses ungute Gefühl bald vorbei geht. Immerhin.

Spontan entschließe ich mich, am Nachmittag ein bisschen Enkelkind und ein bisschen Nichte zu sein. Bei Kaffee & Kuchen sollen die Familienrituale als Enegiequelle herhalten. Anschließend geht es hinaus in die laute Nacht. Die Stadt pulsiert vor flirrendem Leben und von Beginn an kann ich nicht Schritt halten. Mit niemandem. Ich sehe die Menschen zu zweit, zu dritt und in Gruppen die Straßen entlang ziehen und ich merke, dass die Zeit des Alleinseins entgültig vorbei ist. Dass ich keine Lust mehr habe, am Wochenende etwas ohne Begleitung zu unternehmen. Dass ich mich mit anderen zusammen am Leben erfreuen will. Auch schon am Freitag.

Innen ist es warm und hell. Aber obwohl mir alles vertraut ist, fühle ich mich fremd und wie auf der Flucht, aufmerksam und angespannt. Ich spüre, dass ich mit dem alten Ich unterwegs bin. Unsicher, verkrampft, traurig. Dem Ich, das ich längst begraben wollte. Auf Nimmerwiedersehen. Die zufälligen Begegnungen sind kurze, aber schmerzliche Momente mit Unbekannten, die mir meine Gefühle spiegeln. Es fühlt sich heute genauso schrecklich an, wie damals. Verdammte Rückblende.

Aber dann ist da die Kunst, wegen der ich gekommen bin. Weil die Neugier größer war, als die Müdigkeit oder die Angst vor dem Alleinsein.

David Hochbaum entführt mich für ein paar Augenblicke in eine Welt, die aus schönen Mädchen, labyrinthischen Städten und vielen schwarzen Vögeln besteht. Am liebsten würde ich mit den Fingern über seine Bilder streichen und die Struktur ergründen, die sich aus Fotos und Öl, aus Tinte und Stoff zusammensetzt. Fliehen. Hineinschlüpfen in diese andere Welt, der man schon ansieht, dass man dort ebenso verloren gehen kann wie hier, sich ebenso verlieren kann wie hier.

Kurz bevor ich gehe, entdecke ich dass mein Lieblingsbild verschwunden ist. Das Bild, das schon bei meinem ersten Besuch meine Aufmerksamkeit weckte. Das Mädchen mit der Fledermaus. Ich hoffe, dass es nur einen Ausflug nach London oder New York macht und dann wieder zurückkehrt, aber ich kann es selbst nicht glauben. Ich will nach Hause. Zuflucht suchen in vertrauter Umgebung. Die heißen Wangen ins kühle Kissen drücken und nichts mehr denken, nichts mehr spüren, sondern nur schlafen und vergessen. Und Kraft schöpfen, für ein aufregendes Wochenende. Die Vorfreude habe ich nicht verloren. Zum Glück.

Wer auch will: Strychnin. Boxhagenerstrasse 36, Berlin-Friedrichshain.