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Dienstag, 30. Dezember 2008
Frau Spieß ist ins normale Leben zurückgekehrt. Knoten rausgeschnitten, Chemotherapie, Reha. Ratzfatz ging das.
"Geheilt", behaupten die Ärzte.
"Hoffentlich", sagt Frau Spieß.
"Bitte", denke ich.
Das Jahr neigt sich dem Ende zu und wir lauschen der Klavierspielerin in der anderen Ecke des Raumes. Kaffee und Torte werden gebracht. Sonntagsstimmung zum Jahresende.
"Was ist mit dir?" unterbreche ich schließlich die Stille am Tisch, aber Frau Spieß sitzt da, schweigt weiter und schaut wie ein zerrupftes Vögelchen ins Leere. "Alles scheiße?", frage ich vorsichtig und sie nickt ergeben, während sie plötzlich hektisch in ihrer Tasse rührt.
Frau Spieß ist alt. Jedenfalls denkt sie das. Sie ist der festen Überzeugung, dass jetzt nichts mehr kommt. Bei ihrer Lebensweise könnte sie damit durchaus recht behalten. Sie erzählt, dass sie sich eine Wohnanlage für Senioren angesehen hat. "Bist du dafür nicht ein bisschen zu jung?", frage ich in mühsam neutralgehaltenem Tonfall. Sie ist es tatsächlich, man darf erst ab 60 dort einziehen. Ich schüttele innerlich den Kopf. In Gedanken vergleiche ich sie mit meiner Mutter und wundere mich, wie unterschiedlich Menschen altern können.
"So geht das nicht weiter", sage ich schließlich im Lehrerinnentonfall, denn manchmal hilft nur konsequente Strenge. Frau Spieß nickt mit flehendem Blick. Ich erzähle ihr von Ehrenamtlichenbörsen und vom Großelterndienst, von Nachbarschaftsheimen und Sportangeboten, von Kursen an der Volkshochschule und allerlei anderem Kram. Sie hört zu, erst kopfschüttelnd, dann mit langsam erwachendem Interesse. "Eine Aufgabe wäre vielleicht gar nicht so schlecht", sagt sie dann und fragt noch die ein und andere Sache, so dass ich merke, dass sie tatsächlich meinen Worten gelauscht hat. Sie fängt Feuer, ich merke es genau. Wir beginnen auszuwählen und zu planen.
"Da trinken wir einen drauf", sagt sie eine Stunde später und bestellt zwei Prosecco. Und ich nehme mir vor, sie im Januar so lange zu trietzen, bis sie wirklich eine Sache in Angriff genommen hat, wenigstens eine, damit sie endlich mal rauskommt aus ihrer piefigen Butze. Herrje, das habe ich doch selber alles durch, das will ich nicht bei anderen sehen.
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