Sonntag, 27. Januar 2008

Nach 18 Jahren Funkstille meldet sich der Pe bei mir. Ob wir uns nicht mal treffen wollen, fragt er vorsichtig und ich stimme zu, auch wenn ich keine Ahnung habe, welches der wahre Grund für seinen Anruf ist. Als er in meiner Tür steht, nehmen wir uns unbeholfen in die Arme. Der Pe sieht vertraut aus, wie früher mit 14 und doch ist er erwachsenen geworden. Während ich noch mit der Zubereitung des Essens beschäftigt bin, gebe ich ihm einen kleinen Stoß: "Erzähl doch mal!" Und schon kommt es in unverdaulichen Portionen herausgepoltert: die Eheprobleme, die Schwierigkeiten bei der Arbeit, das Burnout und im Anschluß eine Psychose mit Stimmen und Wahnvorstellungen, ein langer Klinikaufenthalt, die Trennung von der Frau, den Kindern, die Erkenntnis, dass der Nachbar nicht nur Nachbar war, die Kündigung, das finanzielle Desaster, Trauer und Leere und verlorener Kampfgeist. Ich schaue in seine starren Augen, die mich von weit her fixieren und auf seine Finger, die er pausenlos knetet. So viel Verzweifelung. Ohne Vorwarnung.

When the day is long and the night, the night is yours alone,
When you're sure you've had enough of this life, well hang on.
Don't let yourself go, everybody cries and everybody hurts sometimes.


Einsamkeit. "Du kennst das halt nicht, du warst ja immer alleine", sagt er, ohne mir wehtun zu wollen, aber es schmerzt genauso wie es sich anhört und wir schweigen eine Weile, während uns das scharfe Masman Curry Tränen in die Augen treibt und wir uns beide die Nase putzen können, ohne das es auffällt.

Sometimes everything is wrong. Now it's time to sing along.
When your day is night alone, hold on, hold on.
If you feel like letting go, hold on.
When you think you've had too much of this life, well hang on.


"Fragst du dich auch manchmal, ob das jetzt alles war", will der Pe wissen und ich grinse und beginne zu lachen und verschlucke mich, huste und lache und träne, bis er einstimmt. Als ich mich wieder beruhigt habe, schaut er mich fragend an. "Du hast zwei Kinder", zähle ich auf, "11 Jahre eine Beziehung geführt, ein Haus gebaut." "Aber das zählt jetzt nicht mehr, es ist doch alles kaputt", gibt er resigniert zurück und wir schweigen wieder.

Everybody hurts. Take comfort in your friends.
Everybody hurts. Don't throw your hand.
If you feel like you're alone, no, no, no, you are not alone.


"Wolltest du nie Kinder haben?", will er wissen und ich erkläre ihm, dass ich mir immer Kinder gewünscht habe. "Ich habe nie einen getroffen, der mit mir Kinder gewollt hätte", antworte ich mit verschmitztem Lächeln und freue mich an der Dramatik meiner Worte, bis mich eine Faust des Schmerzes trifft und ich mir mit der Serviette über die Augen reibe, weil das Curry wirklich verdammt scharf ist.

If you're on your own in this life, the days and nights are long,
When you think you've had too much of this life to hang on.
Well, everybody hurts sometimes,
Everybody cries.


Die Verabschiedung ist kurz. Wir werden uns wiedersehen.

So, hold on, hold on.

(R.E.M., "Everybody hurts")