Montag, 30. Juni 2008

Der Wasserfrosch, Rana esculenta, springt bei Gefahr in typischer Wasserfroschmanier mit einem weiten Satz ins Wasser und verbirgt sich im Schlamm. Der Schlaukopf.

Ich bin kein Gruppentyp und auch nach Jahren hat sich das nicht geändert. Partys machen mir nur dann Spaß, wenn ich mindestens ein Drittel der anwesenden Personen kenne und mag, ansonsten lähmt mich die Fremdheit der Situation. Ich kann einfach diesen ersten Schritt nicht machen und deshalb sitze ich da, versuche zu lächeln und rede den ganzen Abend über mit der einzigen Person die ich kenne. Am Ende der Nacht bin ich genervt von mir selbst, von der Scheu, die ich nicht überwinden kann, obwohl ich zumindest einen guten und harmlosen Grund gehabt hätte, jemanden anzusprechen. Aber ich saß nur da, wippte mit dem Fuß zur Musik und beobachtete die glücklichen Menschen um mich herum, die lachten und Spaß hatten, die sich küßten und zusammen tanzten, die rauchten, aßen und tranken und eine gute Zeit hatten.

Ich bin kein Partytyp und werde es nie sein. Da sollte ich jetzt wohl kaum enttäuscht sein. Hätte ich es nur gemacht wie der Wasserfrosch, zu dessen Abbildung mein Blick den Abend über immer wieder wandert. Ab in den Schlamm, am besten kopfüber, und dann totstellen.


 

Mittwoch, 25. Juni 2008

Ich begrüße die Frau aus L. mit einem Lächeln und setze mich auf das braune Ledersofa ihr gegenüber. "Sie sehen sehr traurig aus", beginnt sie das Gespräch und schaut mich erwartungsvoll an. Mein erster Impuls ist, ihr zu widersprechen. Mit einem "Nein, nein, alles ist gut!". Aber im selben Augenblick spüre ich den dicken, fetten Kloß im Hals, der mich lieber schweigen und den Blick senken läßt. Einmal auf die Zunge beißen verlagert den Schmerz und vertreibt die Tränen. Hilft meistens.

Dann erzähle ich aus meinem Leben, springe von einem Thema zum anderen, durcheinander und ein bisschen konfus. Von der Enttäuschung über den Vater, über das schlechte Gewissen, weil ich mich immer noch nicht bei meiner Mutter gemeldet habe, über die ungeklärte und extrem unbefriedigende Situation in der Anstalt, die Entfremdung von meinem besten Freund und dann natürlich über den innerlichen Abschied vom Lieblingskollegen und damit auch von unseren locker-flockigen-gute-Laune-Treffen. Wir schweigen eine Weile gemeinsam. "Da stehen sie ja vor einem ganz schön großen Berg", sagt sie und ich nicke. Ein Berg, den ich vorher gar nicht gesehen habe. Ein Berg, der vorher unsichtbar im Nebel verborgen war und nun in den Himmel aufragt, jetzt zum Greifen nah. Leider weiß die Frau aus L. auch keinen anderen Rat als "anpacken" und so ziehe ich ein bisschen bedröppelt von dannen. Wird schon. Irgendwie.


 

Samstag, 21. Juni 2008



Es ist fast wie eine Zeremonie. Zurücktreten und eine Pause einlegen. Traurig sein. Zweifeln und ein bisschen grimmig in die Gegend blicken.

Aber die Welt dreht sich weiter und das Leben klopft ungebeten an die Tür. Wie einen Rettungsanker in der stürmischen Brandung ergreife ich die ausgestreckten Hände und schaue in freundliche Augen, die mich einladend ansehen. "Los, los", sagen die einen. "Mir nach", die anderen. Das wird ein gutes Wochenende, denn die Sonne scheint und die Freunde drängeln zu gemeinsamen Unternehmungen. Ich seufze theatralisch und nehme die Vorschläge mit einem inneren Auflachen an. Es geht weiter. Immer weiter. Mal so, mal so.


 

Montag, 12. Mai 2008

Love me love me
say that you love me
fool me fool me
go on and fool me
love me love me
pretend that you love me
leave me leave me
just say that you need me

(The Cardigans. Lovefool)


Das Strahlewetter tut der Seele gut. Zwar kriege ich im Gesicht lauter kleine Pickelchen, weil ich die Sonne nicht vertrage, aber für die Laune gibt es nichts Besseres als die Kombination aus Wärme und Helligkeit und der grünen Üppigkeit, die selbst in der Großstadt nicht kleinzukriegen ist. Ich habe das Gefühl, das Radfahren nie so sehr gemocht zu haben wie in diesem Jahr. Der Fahrtwind, der über die Härchen meiner Arme streicht, das Vermeiden von Wartezeiten auf dunklen U-Bahnhöfen, die vielen anderen Radler, die sich teilweise in großen Kolonnen vorwärts bewegen, der Blick auf gut besuchte Cafés, in denen die Menschen Tag & Nacht zu sitzen scheinen. Sommergefühl.

Mimi und ich hocken am Landwehrkanal, lassen die Beine baumeln und blicken auf das brackige Wasser, über dem eine Millarde im Abendlicht glitzernder Mücken schweben. Die Gutelaunemusik klingt von der nächstgelegenen Brücke herüber und wir sehen die Menschenmassen, die sich dort im Gedrängel herumschieben. "Jetzt schwörst du aber nicht gleich allen Männern ab, nur weil dich der eine nicht will", sagt Mimi und läßt ein paar Grashalme Richtung Wasser trudeln. "Tsssss", lasse ich die Luft laut aus meinen Lungen strömen und fange an, das Etikett meiner Bierflasche abzurupfen. "Sein Freund ist auch sehr nett", murmele ich leise und meine es so, wie ich es sage. Ich drehe meinen Kopf zur Seite um sie anzusehen und fange an zu grinsen. "Siehste, dann nimmste den." Wir müssen lachen und es wäre so schön, wenn das Leben so einfach wäre, wie wir es uns manchmal erträumen. Glücklicherweise lässt das Gemüt nichts Schlechtes zu, denn das Leben ist gerade so gut zu mir, dass weder kleine noch große Stolpersteine mich zu Fall bringen können.


 

Donnerstag, 3. April 2008

Was soll man tun, wenn haufenweise durchsichtige Bindfäden vom Himmel fallen? Nicht viel, soviel ist mal sicher.

Hier geht man ins Hamam. Warm, feucht, ruhig, entspannend und ein wahres Seelenheil für Gestörte. Zumindest bis die japanische Reisegruppe die Örtlichkeit mit Beschlag belegt. Mit geschlossenen Augen nehme ich die Hektik der vielen Menschen um mich herum und die fremde Sprache wahr und schnell wird das Lautgewirr zu einem nervenaufreibenden Geschnatter. Hastig flüchte in die leere, dampfende Sauna, aber nur, um ein paar Minuten später die neue Bekanntschaft zu intensivieren. Diese kleinen Personen zappeln, reden, kaspern und wollen nicht stillsitzen. Vielleicht ist Kinbaku-bi deswegen eine Kunstform geworden. Zu dem Thema fallen mir allerdings noch weitere Fragen ein. Ob die beiden Frauen schon Erfahrungen mit Langzeitfesselung gemacht haben oder ob ihr Begleiter vielleicht ein Shibari-Meister ist? So hätten wir sogar ein Gesprächsthema. Vielleicht hat es der ein oder andere in der Gruppe ja sogar professionell betrieben und ich habe längst die entsprechenden Bilder im Netz bestaunt.

Und während ich schon längst wieder auf den warmen Steinen neben dem Wasserbecken liege, grinse ich in mich hinein und denke daran, dass ich dem Fesselkram sowieso nie viel abgewinnen konnte. Erstens dauert es mir zu lange, zweitens ist es voll unbequem.

(Und falls jemand von Ihnen ein wirksames Hausmittelchen gegen eine anständig ausgeprägte Bindehautentzündung hat - Please help!)


 

Montag, 31. März 2008

In der Fremde ohne Plan und Peilung loszugehen ist nicht unbedingt schlau. Das macht man, wenn man a) einen guten Orientierungssinn hat oder b) zu feige ist jemanden anzusprechen. Ich bin bei dir, echot das neurotische Innere grinsend, also los!

Eigentlich muss ich Geld tauschen. Eigentlich muss ich herausfinden, wo ich bin, wie ich in die Altstadt komme, wie ich anschliessend wieder zurückfinde. Aber Laufen ist schliesslich gesund und man kann sich dabei so schön die Gegend ansehen. Irgendwann spricht mich ein Mann an, ein Einheimischer, freundlich und höflich und mit guten Englischkenntnissen. Wir machen ein wenig Smalltalk, bis ich mich schliesslich traue, einige meiner Fragen zu stellen. Er sagt, dass er nur schnell etwas erledigen muss, 10 Minuten, danach hat er den ganzen Tag frei. Ich soll einfach im Bushaeuschen warten.

Pustekuchen. Kaum ist er um die Ecke, ergreife ich die Flucht. Mich darf man generell nicht zu lange aus den Augen lassen, aber das wissen nur die, die mich gut kennen. Und manchmal können schon 10 Minuten zu lang sein. Pech gehabt. Vielleicht er, vielleicht ich, vielleicht wir beide.

Der Heimweg fühlt sich einsam und deprimierend an. Auch die letzte vaeterlichen Warnung am gestrigen Abend ('Keine kleinen, einheimischen Jungs!') macht die Situation nicht besser. Alles klar, Papa, Auftrag ausgeführt, Verfolger abgehaengt. Ich will nach Hause.

Schlechtelauneschlafen.

Danach entscheide ich, dass der Tag noch eine Chance verdient hat. Der Rezeptionist laechelt freundlich-routiniert, waehrend ich meine Fragen stelle und versuche, mir alle Antworten zu merken. Sogar mein Geld tauscht er um und plötzlich scheint alles so einfach. Ein paar Haeuser die Strasse hinunter entdecke ich ein kleines Café mit Meerblick. Jawollja, ganz genau, eine Latte bitte, na klar, ganz unverfaenglich hier in der Ferne, da rufe ich doch schnell noch ein large hinterher. Ich bleibe dann doch noch.


 

Donnerstag, 27. März 2008

Ich hatte ganz vergessen, wie wunderbar es ist, sich durch Worte verwöhnen zu lassen. Wenn Nähe und Innigkeit aus ihnen sprechen, weil ehrlich die schmerzlichen Wahrheiten benannt, unbequeme und manchmal auch quälende Fragen gestellt, liebkosende Formulierungen gebraucht werden und eine Prise kecker Narrenfreiheit dem Ganzen das goldene Krönchen aufsetzt. Empfindlich, zart und feingliedrig, wie mit Morgentau bedeckte Blütenblätter.

Aber das Böse will kein Glück und darum bringt es diesen gemeinen Herzschmerz, den Gedanken daran, wie schnell alles vergehen kann, wie kurzweilig ein Moment, ein Augenblick ist. Es gibt keine Sicherheit, schon gar nicht in Gefühlsdingen. Keine Verläßlichkeit, keinen Glauben, keine Beständigkeit. Empfindlich, zart und feingliedrig, wie mit Morgentau bedeckte Blütenblätter, die bei der kleinsten Berührung erzitternd herabperlen, das Kitschbild zerstören und ein paar unansehnlich verknitterte Blätter zurücklassen.


 

Sonntag, 16. März 2008

Das Wochenende ist vorbei, ich habe es geschafft, trotz Talfahrt und schlierigem Grauschleier. Überstanden mit ein paar Blessuren, aber längst nicht so schlimm wie befürchtet.

Hahaha, das wäre doch gelacht, würde jetzt nicht wieder die Sonne aufgehen.


 

Mittwoch, 12. März 2008

Menschen hier und Menschen da. Sie sind überall um mich herum, wo ich auch hinsehe, ob ich mich drehe oder die Hände vor mein Gesicht halte. Unzählige, ungeahnt viele. Einer reicht mir die Hand, andere tragen mich auf Händen, halten und drücken mich, streichen mir über's Haar oder blinzeln mir aufmunternd zu, grinsen mir ins Gesicht, lachen mich an und teilen ihr Glück mit mir. Einige wenige strecken mir die Zunge heraus oder knuffen mich in den Rücken, die blöden Spielverderber. Aber die anderen, die Guten, sind in der Überzahl und lassen mich die Zungerausstrecker und Knuffer aushalten und schließlich vergessen. Vielleicht hätte ich diese vielen Menschen schon früher sehen können, sie viel früher bemerken müssen. Aber ich saß auf meinem Bettrand, schaute auf den sommerlich blühenden Baum im Hinterhof, auf die saftig grünen Blätter, die mit der Zeit erst gelb und dann braun wurden, bis sie schließlich hinab fielen und die Pflastersteine im Hof bedeckten. Die Äste wurden kahl und plötzlich sah ich von meinem Schlafzimmer aus in die Küche meiner Nachbarn, weshalb ich schnell die Vorhänge zuzog und mich in meinem Bett ganz klein zusammenrollte, die Decke über den Kopf zog, die Nase im Kuschelkissen vergrub und wünschte, in ewigen Schlaf zu versinken. Dann brachte der Winter ein wenig Schnee, unschuldig weiß und bitterkalt und ich sah wieder zu den gelb erleuchteten Fenstern hinüber, betrachtete die vergilbten Gardinen und die vertrocknete Topfpflanze auf dem Fensterbrett, witterte irgendwo dort draußen eine Prise Leben und legte meine heiße Wange sehnsüchtig an die kalte Fensterscheibe.

Irgendwann in dieser Zeit, irgendwann nach Weihnachten und vor Silvester entschied ich mich für das Leben. Für mein Leben. Und die Entscheidung schmerzte, weil sie ein Eingeständis des Vergangenen war, was nicht in Worte gefaßt werden kann, weil dort nur ein dunkles und schmerzendes Nichts ist.

Zweieinhalb Monate später weiß ich, dass die Entscheidung richtig war. Anstrengend, aber notwendig. Und dass sie glücklich macht. Denn um mich herum sind Menschen, die mir vielleicht schon vor Monaten oder Jahren die Hand entgegenstreckten und die ich vorzog zu übersehen, auf keinen Fall aber hätte nehmen können. Auch jetzt tue ich mich schwer damit, hole die Kraft lieber aus meinem Inneren, aus dem was ich in mir sammle, Tag für Tag. Es wundert mich, dass überhaupt noch Energie da ist, nachdem ich meine Lebensfreude so verschwenderisch verpulvere. Jeden Tag rechne ich mit dem Ende, damit, dass alles aufgebraucht ist. Aber dann geht es weiter, heute und morgen und übermorgen und vielleicht sogar noch in der nächsten Woche, während ich staunend und grinsend in die Welt blicke und mich wundere. Einfach nur wundere. Über mich.


 

Samstag, 9. Februar 2008

Keine Tränen ohne Drama. Die Dame in Schwarz hat mir den Rücken gekehrt und fragend schaue ich in den Spiegel und wundere mich. Das Herz nutzt die unerwartete Chance und tut was ihm gefällt, springt hierhin und dorthin, frei und wild, unbändig und lediglich mit dem üblichen Hang zur Melancholie. Die düsteren Erwartung sind unbekannt verzogen und der Himmel strahlt in einem kitschigen Blau mit einer Zugabe weißer Schäfchenwolken.

Nach vielen guten Tagen mahnt der Kopf zur Langsamkeit, will bremsen, von jeher ein Spielverderber übelster Sorte. Warum, will ich wissen, doch es kommt nur die wiederholte Ermahnung ohne Erklärung. Kein Leid, keine Heulerei und der Gram ist mittlerweile zum verachteten Scheusal mutiert. Ich denke ja gar nicht daran zu gehorchen. Stattdessen ertappe ich mich jeden Tag wieder dabei, wie mir ein Grinsen über das Gesicht huscht, ich lache oder vor Spannung den Atem anhalte. Da sind Menschen, deren Hand ich nehme, wobei ich natürlich so tue, als wäre das die selbstverständlichste Sache der Welt. Menschen die Worte finden & Nähe geben, die sie mich spüren lassen, auch wenn sie fern sind.

Auch das Vieh verhält sich still, lässt mich leben ohne seine Klauen in mein Inneres zu schlagen, ohne herumzutoben und sich in mir zu verbeißen, ohne gnadenlos seine Bosheit gegen mich zu richten. Hahahahaha, lache ich ihm übermütig ins Gesicht, du fieses, kleines Arschloch! Der Mut der Verzweifelten. Was habe ich dir nur getan, frage ich leise ins Nichts, dass du mich so quälen musst. Wofür diese Strafe? Aber wie immer schweigt es eisern, bewahrt die Distanz und ignoriert mich. Es ist nie bereit zu Kompromissen: TPC ohne SSC, und natürlich wurde ich nie gefragt, ob ich überhaupt mitspielen will. Seine Fratze verzieht sich, wahrscheinlich zu einem Grinsen, aber ich bin mir nicht sicher, denn es sitzt im Halbschatten in seinem Versteck. Welchen Lebensinhalt hättest du sonst, vernehme ich die leise, schmierige Stimme und ich ahne die Antwort bereits. Was bleibt dann schon. Eine substanzlose Masse, eine Masse ohne Inhalt, ohne Wert. Ich muss nachfühlen und mich versichern, dass da noch etwas ist. Weich und warm, ein Herz, mein Herz, das so gern lieben, leben und alles für sich haben will.

Heute ist Samstag. Das Highlight der Woche, hahaha, Scherz! Deshalb gibt es nur ein paar mühsam hervorgequetschte Tränen. Aus Prinzip. Ich widme sie der Parole.