Donnerstag, 5. März 2009

Zusammengefasst sieht die Sache so aus: Das Beuteschema hat nicht bekommen was es wollte, sich deshalb beleidigt weggedreht und nicht einmal auf meine blödsinnig-devote Entschuldigungsmail reagiert, die ich aus heute nicht mehr nachvollziehbaren Gründen trotz seines unfeinen Abgangs noch am gleichen Abend hinterherschickte.
(Story hier.)

Innerlich konnte ich ihn nach ein paar Tagen abhaken, aber trotzdem wartete ich auf eine Rückmeldung, eine Erklärung, eine Entschuldigung, irgendwas. Ich wollte mir einfach nicht eingestehen, dass ich auf einen Menschen hereingefallen bin, der weder genug Mumm noch genug Anstand besitzt, um so eine Sache fair zu Ende zu bringen.

17 Tage später schreibt er. Vielleicht hatte er Langeweile?

Liebste Kinky,
lass uns einfach auf besseres Wetter warten und mit der Paddelsaison nochmals neu anfangen. Dann ist es vielleicht weniger nervös.
Kuß


Oha. Lesen. Starre. Nochmal Lesen. Losprusten. Und dann kriege ich mich kaum mehr ein über seine Worte, lache herzhaft und laut, voller Inbrunst, weil ich seine Mail so komisch finde. "Liebste", "neu anfangen", "Kuss". Ja, nee, ist klar Alter.

Was für ein Arsch³.


 

Montag, 2. März 2009

Die Lieblingstante war kein Wunschkind, im Gegenteil. Sie war das Kind ihrer Mutter und das Kind eines Anderen. Vielleicht war schon das Grund genug, ihr das Leben zur Hölle zu machen. Heute scheint mir ihre Reaktion eine Art angepasster Auflehnung gegen ihre Eltern gewesen zu sein: die konsequente Selbstzerstörung, um sich unauffällig aus dem Leben zu schleichen.

Als Kind habe ich meine Tante vergöttert. Sie war für mich der Inbegriff von Herzenswärme. Das Gegenteil von meiner Mutter, von meiner Oma. Liebevoll, aufopfernd, herzlich, gütig und strahlend schön. "Komm", pflegte sie zu sagen, wenn ich für ein paar Tage nach Hamburg kam, "wir spielen Mutter und Tochter." Und ich gierte danach, an ihrer Hand über den Blankeneser Wochenmarkt zu laufen, wo sie unzählige Menschen kannte, wo jeder sie grüßte und sie immer wieder stolz verkündete: "Meine Tochter!" Dann kicherten wir vergnügt und zufrieden, während die Bekanntschaften gütig lächelten und nickten und sich wahrscheinlich ihren Teil dachten.

Aber ich merkte früh, dass diese Familie anders ist als meine eigen. Spießig. Patriarchalisch. Und irgendwie falsch. Aber wenn man klein ist, darf man ungestraft ausblenden und deshalb tat ich so, als wäre alles gut, alles besser, als in meinem eigenen Leben. Damit ich äußerlich zu ihnen passte, kaufte meine Tante Polohemden und stellte mich zwischen die beiden Jungs: dunkelblau - rosa - dunkelblau und für einen Moment konnte ich an eine richtige Familie glauben. Vater, Mutter, Kinder. Das, was ich meine Kindheit durch am sehnlichsten vermisste. Eine Familie, komplett, wie aus dem Bilderbuch.

Als ich größer wurde sah ich mit Befremden, wie die Hamburgfamilie heile Welt spielte. Die Fassade überzeugte alle Außenstehenden, aber innen drin gärte die Fäulnis. Am 50. Geburtstag meiner Tante, beschloss ihre Mutter!, ihr die Information, ein uneheliches Kind zu sein, am Telefon vor die Füße spucken zu müssen. Was folgte war schrecklich. Im Nachhinein wollte ich einfach nur glauben, dass es ein bisschen tröstlich für sie war, zu erfahren, dass der Mann, den sie Papa genannt, der sie misshandelt und missbraucht hat, nicht ihr leiblicher Vater gewesen ist. Dieser Mann, der nicht nur seine drei Kinder gequält, sondern auch viele andere Menschen auf dem Gewissen hat. Ein Mann, den keiner gerne zum Vater haben will. Aber vermutlich fiel dieses Wissen nicht mehr ins Gewicht, weil der Zeitpunkt viel zu spät war.

Der 29. Februar 2008 kam wie ein Donnerschlag daher und der Tod mit tosendem Gepolter. Als müsse wenigstens der Abschied laut und gewaltig sein, weil sie doch sonst immer so verdammt stillgehalten hat. Der brachiale und grausam Weg aus dem Leben hat alle erschüttert. Und doch will ich in meiner Fantasie glauben, dass sie diesen Nicht-Tag bewußt gewählt hat. Damit ihre Männer nicht jedes Jahr trauern müssen. Und ihre Wunschtochter auch nicht. Sie konnte doch niemanden weinen sehen.


 

Freitag, 27. Februar 2009

Wer dich liebt, hält dich aus.
(Annie Leibovitz)




Während ich den Indianerkopf auf Johnny Depps Oberarm anstarre, höre ich den Kolleginnenfreund neben mir etwas murmeln. "Was ist?", schaue ich ihn fragend an. Er wiederholt seine Worte. "Wenn ihr nicht mehr zusammen arbeitet, sehen wir uns nie wieder", sagt er nüchtern und zupft ein Haar von meinem Schal. Ich blicke wieder zu Johnny und wiege leicht den Kopf hin und her. "Nie wieder", flüstere ich dann leise, während ich mich wegdrehe, und muss an all die nie wieders denken, die mich in den nächsten Tagen, Wochen und Monaten begleiten werden.

"Red' keinen Quatsch", fährt die Kollegin dazwischen und schlingt von hinten ihre Arme um mich. "Wir werden uns gegenseitig zu Parties einladen, Sektfrühstück veranstalten und zusammen Tanzen gehen", sagt sie im Brustton der Überzeugung, aber ich bin nicht sicher, ob ich ihr glauben, ob ich hoffen soll. "Ich mache keine Parties und ich mag keinen Sekt", sage ich schließlich lahm und verlasse dann schnell den Raum.

Später schauen wir lange auf die Fotos von Susan Sontag. Krank, schwach, gezeichnet, aber präsent. Wir stehen zu dritt nebeneinander und schweigen. "Wenn ein Leben zu Ende geht...", sage ich leise und rechts und links von mir spüre ich ihr zaghaftes Nicken. Annie Leibovitz lässt uns teilnehmen an ihren Abschieden, die sie mit der Kamera festgehalten hat. Vielleicht nur für sich selbst, vielleicht für ihre drei kleinen Mädchen, aber ganz sicher nicht für uns. Denn diese Bilder sind so intim, dass man sie gar nicht machen könnte, würde man sich dabei vorstellen, sie für die Allgemeinheit festzuhalten.

Als wir wieder auf den Eingangstufen stehen und der Kolleginnenfreund eine selbstgedrehte Zigarette raucht, sind wir uns einig. "Berührend." Nicht die Stars und Sternchen und schon gar nicht die Präsidenten. Es ist die Familie, die diese Ausstellung ausmacht, die das Leben ausmacht. Nicht der Glitzer, nein, weiß Gott nicht der Glitzer, sondern Glück, Leid, Liebe und Vertrauen.

Wanna see? C/O Berlin, Postfuhramt, Oranienburger Straße/ Tucholskystraße bis 24. Mai 2009 täglich von 11 - 20 Uhr.


 

Mittwoch, 25. Februar 2009

Auch wenn das Unglück groß ist, schätze ich die Erleichterung nachdem ich meine Entscheidung getroffen habe. Vor allem, weil es sich nicht um einen Schnellschuß handelt, sondern weil es sich ganz und gar richtig anfühlt, weil ich mir wieder ins Gesicht sehen kann. Es ist eine Entscheidung gegen die Arschlöcher in dieser Welt.

Aber es ist Fakt: Ich bin bald wieder arbeitslos. Das ist nicht schön, nein, im Gegenteil, es ist sehr schlimm. Es tut weh und schmerzt gewaltig, denn ich bekomme schon jetzt, bevor es überhaupt soweit ist, zu spüren, womit ich in der nächsten Zeit zu kämpfen haben werde. (Willkommen zurück, Mistvieh.)

Ich muss meine Kolleginnen zurücklassen. Diese intelligenten und tollen Frauen, von denen ich immer wieder eine gefunden habe, die mich ins Café, ins Kino, ins Theater, auf Ausstellungen begleiteten. Diese warmherzigen und schönen Frauen, von denen ich so viel weiß: über ihre Hoffnungen und Ängste, über ihre Hobbys und Freunde, über ihre Männer und Kinder. Sie werden mir schrecklich fehlen. Jeder Gedanke daran, dass ich sie schon in wenigen Tagen nicht mehr täglich sehen werde, lässt mir die Tränen in die Augen steigen. "Ausgerechnet du, die alle mögen", flüstert Kollegin1 entsetzt und ich will es nicht hören. "Die Frau mit dem ganz großen Herzen", murmelt Kollegin2 und schaut ganz unglücklich drein, als sie mich in die Arme schließt. "Unser kleiner Sonnenschein", schnieft Kollegin3 und dreht sich weg, weil alles weh tut. Ich bin gerührt und ja, ich weiß, wie sehr sie mich mögen. Sie haben es mich oft spüren lassen, sehr oft. Und ohne sie wäre ich schon längst nicht mehr dort.

Trotzdem. Dieser Kampf war lang und hart und hat mich unglaublich viel Kraft gekostet. Seit der Lieblingskollege damals gegangen wurde, war mir klar, dass ich dort nicht mehr glücklich werden kann. Orte, an denen Menschen schlecht behandelt werden kann ich nicht ertragen. Also gehe ich. Ich gehe. Jawohl.


 

Montag, 23. Februar 2009

Ich geh durch die Straßen und ich frier dermaßen,
doch der Sandmann verkauft nur noch Seifenblasen.




Das Wetter ist so unbeständig wie meine Stimmung. Tage und Nächte sind vollgepackt mit Aktivitäten. Sie bringen Wiedersehen, Umarmungen, Freude, bringen Kunst, Musik & Natur, bringen stundenlange, leichte & tiefe, optimistische & nachdenkliche Gespräche, die sich gut anfühlen. Die Menschen um mich herum tun mir gut.

Aber am Ende, immer wenn ich nach Hause komme, wenn die Ruhe kommt, riecht es nach Einsamkeit. Nach fieser und gemeiner Einsamkeit. Jedes Mal siegt das Gefühl, schlußendlich alleine dazustehen und nicht zu wissen, wie es weitergehen soll. Egal an welcher Front.

Und ich leb noch. Ich leb doch.
Ich leb doch immer noch.
Ich leb doch. Ich leb noch.
Ich leb doch immer noch.

(Rio Reiser. Ich leb doch )