Mittwoch, 11. Februar 2009

Ich bin irritiert. Am meisten über mich selbst. Bin ich das noch, will ich mich fragen. Ja, ich bin es noch. Ich bin es wieder. Nicht gesucht und trotzdem gefunden.

Aber wundern kann ich mich trotzdem nicht genug. Erst darüber, dass mir eine Einladung mit mehreren fremden Menschen keine Bauchschmerzen bereitet. Dann darüber, dass ich mit glücklicher Leichtigkeit durch den Abend hüpfen und lockerflockig mit fremden Menschen reden kann, essen kann, trinken kann, lachen kann, singen kann, albern sein kann.

Hoch die Tassen. Auf Peter Maffay.


 

Dienstag, 10. Februar 2009

Die Ungeduld breitet sich während weniger Tage in meinem Innern aus, bis sie von einer unangenehm nörgelnden Unzufriedenheit vertrieben wird. Plötzlich ist nichts mehr gut, plötzlich gibt es an allem und jedem etwas auszusetzen. Die Prinzessin will Aufmerksamkeit, Liebesbeweise oder wenigstens eine 300 Gramm Tafel Schokolade. Und zwar sofort. Aber nichts davon ist greifbar, nichts was beruhigt oder tröstet.

Der Fremde ist beschäftigt. Er muss arbeiten, hat Verpflichtungen, Frau, Kind, Freunde. Ich klicke in meine Mailbox, wieder und wieder und hoffe auf ein paar paar Worte die meine Unruhe verscheuchen. Es kommt nichts. Tagelang. Ich beginne mit einem Brief, aber alles klingt unangenehm weinerlich und so verwerfe ich die Sache wieder. Geduld. Geduld. Er wird wiederkommen, wird mich zu sich rufen und in diesem Moment wird jeder Zweifel vergessen sein.

Dafür ist das Beuteschema aus dem Wochenendurlaub mit der Frau zurück und will mich treffen. Aber nicht Dienstag, Mittwoch, Freitag oder Samstag, schreibt er. Das klingt so uncharmant, dass ich keine Lust mehr habe ihn überhaupt wiederzusehen, angeknackst wie ich bin. Meine patzige Antwort quittiert er mit einem Smiley und der Information, dass er sich den Donnerstag für mich freihalten wird. Erbost lösche ich die Mail und bemitleide mich anschließend selbst.

Alles doof. Alles schief. Und Schokolade ist auch nicht im Haus. Da hilft wohl nur schlafen.


 

Montag, 9. Februar 2009

"Wenn ich groß bin, will ich Hausfrau und Mutter werden", sage ich zu meiner Tante und die bricht trotz schwerer Bronchitis in schallendes Gelächter aus. "Dann solltest du dringend kochen lernen", sagt sie im Brustton der Überzeugung, nachdem sie wieder zu Atem gekommen ist. "Meinst du, es gibt noch Hoffnung?", frage ich sie grinsend und sie nickt eifrig und erklärt sich bereit, es mir beizubringen.













Danke, Tante. Wie schön, dass du da bist. Wie schön, dass du dich freust, dass ich bei dir bin. Und gut, dass es so einfach war, einen Grund zum Zusammensein zu finden. Ich zweifele nicht mehr daran, dass wir eine Basis finden, auf der wir unsere Beziehung ohne den Opa aufbauen können. Nein wirklich, ganz und gar nicht mehr.


 

Sonntag, 8. Februar 2009

Während der letzten Jahre habe ich meine Enthaltsamkeit nicht als Verzicht wahrgenommen. Wahrscheinlich habe ich deswegen auch keinen schmerzlichen Verlust gespürt, sondern nur gewusst, dass diese Art von Abstinenz nicht normal ist, nicht gesund ist, ein Gradmesser dafür, wie krank ich bin. Aber mir war alles egal, es war alles dunkel, sinnlos, traurig, einsam, hoffnungslos. Und jetzt, wo mein Leben wieder mit Leben gefüllt ist, spüre ich die Diskrepanz zwischen damals und heute stark wie nie zuvor. Erinnerung die weh tut. Aber eben Erinnerung. Vergangenheit. Jetzt ist es Zeit, nach vorne zu gucken. Denn die Zukunft ist aufregend und gut, ist hell und schön, ist warm und weich und voller Glück.

Das Beuteschema will mich wiedersehen. Schickt zuckersüße SMS. Schickt Emails. Na klar will ich! Die Vorfreude kribbelt aufregend, denn ich bin neugierig auf die Begegnung. Unser erstes Date. Ich will wissen, ob er mir noch immer gefällt, ob ich ihm noch immer gefalle. Ob unsere Zufallsbegegnung nicht nur ein einmaliger Ausrutscher war. Komm doch, wenn du dich traust.

Er kommt, lächelt, nimmt meinen Kopf zur Begrüßung in beide Hände, küsst mich auf die Lippen, zieht meinen Körper an sich. Du machst alles richtig, will ich ihm ins Ohr flüstern, aber meine Kehle ist trocken und ich bringe kein Wort heraus. Wir reden nicht viel. Stattdessen küssen wir. Unser Treffpunkt ermöglicht es, dass wir nebeneinander auf einer Couch sitzen und ich meine Schenkel quer über seine Beine schlagen kann. Ganz nah. Ich liege in seinem Arm. Für Ewigkeiten. Es fühlt sich nach Pärchen an, ich kann es nicht leugnen. Es fühlt sich an, wie das, was ich haben will, auch wenn wir nur so tun als ob. Er küsst meine Stirn, Augen, Nase, Mund, mein Dekolleté, den freiliegenden Teil meiner Schultern. Er streicht sanft meinen Arm hinauf und hinunter bis mein ganzer Körper mit Gänsehaut bedeckt ist. Er legt seine Hand gegen meine und wir verschränken unsere Finger ineinander. Er berührt meinen Körper, fährt mit den Fingerspitzen die Muster meiner Strumpfhose nach, streichelt meine Wange, immer wieder, schaut mir lächelnd in die Augen, verwuschelt mein Haar, macht mir Komplimente und flüstert mir ins Ohr, was er gern mit mir tun würde.

Es ist sein Bemühen um mich, das mir so gut tut. Sein Begehren. Es ist Seelenheil. Aber dann muss ich ihn bremsen. Mehr kann es momentan nicht geben. Würde ich ihn jetzt mit nach Hause nehmen, würden wir Sex haben. Aber ich will keinen Sex. Ich will Liebe machen. Und soweit sind wir noch lange nicht, falls wir überhaupt jemals bis dorthin kommen.

Mimi lacht sich schlapp als ich ihr mein Vorhaben erläutere. "Dann wollen wir mal sehen, wie lange er das mitmacht." Ja. Das wollen wir mal sehen. "Falls du nicht vorher einknickst", fügt sie glucksend hinzu. Sie traut mir tatsächlich keine Standhaftigkeit zu, die Nuss.


 

Mittwoch, 4. Februar 2009

Schon als ich geboren wurde, konnte mich meine Tante nicht leiden. Ich war für sie eine Konkurrentin im Kampf um die Liebe ihrer Mutter, meiner Oma. Sie zeigte mir bei jedem Zusammentreffen, dass sie klüger, geschickter, besser ist als ich. Dabei war es gleichgültig, ob ich 3, 14 oder 21 Jahre alt war. Erst habe ich das alles nicht verstanden, dann fand ich sie blöd, später tat sie mir leid.

Als ich schon längst erwachsen war, wurde die kleine Miss geboren. Meine Tante hat diese zweite Chance genutzt. Sie schnappte sich die kleine Miss und ging mit ihr spazieren, malte, kochte, buk, bastelte, kuschelte, sang, tobte mit ihr. Las ihr vor, musizierte mit ihr, erklärte ihr die Welt. Ich stand daneben und konnte kaum glauben, wie gern sie sich von diesem kleinen Kind um den Finger wickeln und verzaubern lies, wie weich sie wurde, wie freundlich, wie nachgibig, wie liebevoll. Ich wußte plötzlich, spürte, dass meine Tante keine Wahl gehabt hatte, damals, als ich klein war. Dass sie nicht aus ihrer Haut konnte. Dass sie selbst ein Opfer ihrer Geschichte gewesen ist. Immer in Rivalität zu ihrem vergötterten Bruder, meinem Vater, der Nummer 1.

Jetzt sitzt meine Tante alleine in Opas Wohnung und hustet und hustet und hustet. Ich brühe Tee auf, decke den Tisch und hole Kekse aus dem Schrank. Mir fällt zum ersten Mal auf, dass sie alt aussieht. Erschöpft.

Wir fangen an zu reden, es ist unser erstes Gespräch zu zweit. Erst geht es um früher, um Oma und Opa, um Geschwisterhass und Geschwisterliebe. Wir reden über Berufe und Berufungen, über Lebensglück und Schicksal. Ich erzähle ihr von meinen Depressionen und dass ich damals gelähmt war, unfähig irgendetwas zu tun. Erzähle vom Mistvieh, vom zwei Jahre währenden Kontaktabbruch mit meiner Mutter. Ich erzähle von lauter Dingen die schmerzen, weil Offenheit die einzige Chance für uns beide ist. Weil ich mich verwundbar und schwach zeigen muss, damit sie es mir gleichtun kann. Sie hört zu, ist mit dem Kopf und mit dem Herzen dabei, ich spüre es genau. Dann beginnt sie. Erzählt davon, wie viel sie in den Nächten der letzten Jahre geraucht hat, wenn mein Opa längst schlief, wie sie allein auf dem Balkon saß und sich schlecht fühlte, elend und einsam, nicht schlafen konnte, anfing zu trinken, jede Nacht und das jetzt alles anders werden muss.

Ich hatte ja keine Ahnung. Ich habe einfach die Augen zugemacht und nicht hingesehen. Aber nun kriege ich von ihr eine zweite Chance. Und ich hoffe sehr, dass ich sie ebenso nutzen kann, wie sie es damals getan hat.