Mittwoch, 4. Februar 2009

Schon als ich geboren wurde, konnte mich meine Tante nicht leiden. Ich war für sie eine Konkurrentin im Kampf um die Liebe ihrer Mutter, meiner Oma. Sie zeigte mir bei jedem Zusammentreffen, dass sie klüger, geschickter, besser ist als ich. Dabei war es gleichgültig, ob ich 3, 14 oder 21 Jahre alt war. Erst habe ich das alles nicht verstanden, dann fand ich sie blöd, später tat sie mir leid.

Als ich schon längst erwachsen war, wurde die kleine Miss geboren. Meine Tante hat diese zweite Chance genutzt. Sie schnappte sich die kleine Miss und ging mit ihr spazieren, malte, kochte, buk, bastelte, kuschelte, sang, tobte mit ihr. Las ihr vor, musizierte mit ihr, erklärte ihr die Welt. Ich stand daneben und konnte kaum glauben, wie gern sie sich von diesem kleinen Kind um den Finger wickeln und verzaubern lies, wie weich sie wurde, wie freundlich, wie nachgibig, wie liebevoll. Ich wußte plötzlich, spürte, dass meine Tante keine Wahl gehabt hatte, damals, als ich klein war. Dass sie nicht aus ihrer Haut konnte. Dass sie selbst ein Opfer ihrer Geschichte gewesen ist. Immer in Rivalität zu ihrem vergötterten Bruder, meinem Vater, der Nummer 1.

Jetzt sitzt meine Tante alleine in Opas Wohnung und hustet und hustet und hustet. Ich brühe Tee auf, decke den Tisch und hole Kekse aus dem Schrank. Mir fällt zum ersten Mal auf, dass sie alt aussieht. Erschöpft.

Wir fangen an zu reden, es ist unser erstes Gespräch zu zweit. Erst geht es um früher, um Oma und Opa, um Geschwisterhass und Geschwisterliebe. Wir reden über Berufe und Berufungen, über Lebensglück und Schicksal. Ich erzähle ihr von meinen Depressionen und dass ich damals gelähmt war, unfähig irgendetwas zu tun. Erzähle vom Mistvieh, vom zwei Jahre währenden Kontaktabbruch mit meiner Mutter. Ich erzähle von lauter Dingen die schmerzen, weil Offenheit die einzige Chance für uns beide ist. Weil ich mich verwundbar und schwach zeigen muss, damit sie es mir gleichtun kann. Sie hört zu, ist mit dem Kopf und mit dem Herzen dabei, ich spüre es genau. Dann beginnt sie. Erzählt davon, wie viel sie in den Nächten der letzten Jahre geraucht hat, wenn mein Opa längst schlief, wie sie allein auf dem Balkon saß und sich schlecht fühlte, elend und einsam, nicht schlafen konnte, anfing zu trinken, jede Nacht und das jetzt alles anders werden muss.

Ich hatte ja keine Ahnung. Ich habe einfach die Augen zugemacht und nicht hingesehen. Aber nun kriege ich von ihr eine zweite Chance. Und ich hoffe sehr, dass ich sie ebenso nutzen kann, wie sie es damals getan hat.

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Wenn Türen einen Spalt offen stehen. Schauen Sie vorsichtig hinein.

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Ich habe Angst davor. Es sieht nicht gut aus.

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Mein Gott, Frau Kinky, wie soll ich es ausdrücken. Die Menschen um Sie herum, die in Ihrem Leben eine Rolle spielen - alle werden Sie von Ihnen in einer Art und Weise gewürdigt (mir fällt kein passenderes Wort ein), die nur wenigen Menschen zu Teil wird. Sie werden eine der wenigen Menschen auf der Welt sein, die ihren wirklichen Frieden mit den Menschen um mich sich herum haben werden. Viel Mühsal und Schmerz jetzt, eine reiche Ernte später.

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Das haben Sie aber nett geschrieben. Wirklich sehr nett.

Dafür muss ich zugeben, dass ich als Freundin anstrengend bin. Ich erwarte viel. Offenheit, Ehrlichkeit, Respekt, Kontinuität, Loyalität. Das fällt vielen Menschen schwer.

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Menschen, die keine Offenheit, Ehrlichkeit, Respekt, Kontinuität und Loyalität verlangen und andersherum bieten, sind keine Freunde.

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Da haben Sie allerdings recht. Vielleicht liegt es eher an der individuellen Auslegung eben dieser Eigenschaften. Manche Begriffe sind ja sehr dehnbar.

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Und da haben Sie wiederrum recht. Aber einen unstrittigen Bereich gibt es dann halt doch.
- Schnitt -
Wie geht es übrigens Frau Spieß?

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Ich bin nicht sicher, aber vermutlich werden diese Bereiche irgendwann am Anfang der Freundschaftsanbahnung (unbewusst) gecheckt. Das würde auch erklären, warum ich Freundschaften innerhalb der ersten zwei Jahre ziemlich rigoros und ohne großen Schmerz beenden kann.

Alles zu seiner Zeit. Ich komme momentan wenig zum Schreiben. Das Leben geht vor.

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Offenheit, Ehrlichkeit, Respekt, Kontinuität und Loyalität

Bei all den tollen Sachen könnte ich mich über nichts mehr aufregen.

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"Ich erwarte viel."

Ja. Ich frage mich in solchen Anwandlungen meinerseits immer, bin ich selbst immer und ausschließlich in der Lage dazu, so zu sein, wie ich es gern von meinen Freunden hätte? Die Antwort ist unangenehm aber ehrlich: nein.
Trotzdem, denke ich, bin ich eine gute Freundin.
Und an der eigenen Erwartungshaltung, da kann man ja arbeiten ;)

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Ich finde meine Erwartungshaltung total ok, Kompromisse liegen mir zumindest in dieser Hinsicht einfach nicht (Erfahrungswert).
Es ist aber nicht so, dass sich meine Freunde ein Bein für mich ausreißen müssten, denn für gewöhnlich haben sie dieses Charaktereigenschaften schon gehabt bevor sie mich trafen. Und es geht nicht darum, niemals zu zanken oder sich über unterschiedliche Ansichten auseinanderzusetzen. Es geht um die Basis.

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das ist mir auch immer wieder aufgefallen: wenn man seine verwundbare seite zeigt, finden andere menschen zu einer offenheit, die sie aus sich heraus so nicht haben. menschen fassen in der regel recht schnell vertrauen zu mir, weil ich so bin und nur die wenigsten meiner leichen im keller in der hintersten ecke unter der decke verstecke. ich denke, es ist eine gabe, die man sich bewahren sollte.

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Oft genug fällt es schwer diesen Schritt zu machen, schließlich kann man nie sicher sein, ob der andere darauf eingeht oder ob er einen im Regen stehen lässt.

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