Samstag, 3. Januar 2009

Der Wildfremde kommt mit einer wunderbaren Mail am Morgen des neuen Jahres hereingeschneit. Blinddate-02. Keine 24 Stunden später sitzen wir uns im Café gegenüber und es ist der erste Blick, der jeden möglichen Zweifel durch die Tür in den festgetretenen Schnee hinausfegt. Seine klugen und sicheren Worte brennen heiß und knisternd in meinem Innern und er spürt mein Verlangen, mein Begehren, meine Ergebenheit. Ich erkenne mich selbst nicht wieder. Kein Zaudern und Zagen, keine Unsicherheit, keine Ausflüchte. Nur mein absolutes Wissen, dass es genau dieser Mann ist, dem ich mich anvertrauen will und dem ich mich zumuten werde.

Seine Stärke ist meine Schwäche. Er wird nicht einknicken, wenn ich ihm meine verdorbene und angeschlagene Seele in die Hände lege. Selten war ich mir einer Sache so sicher.

Es bleibt eine Aufgabe & ein Angebot, Herzrasen, wacklige Beine und ein hundertprozentiger Mangel an klaren Gedanken. Was für ein Glück.


 

Freitag, 2. Januar 2009

Vor genau einem Jahr habe ich eine Entscheidung getroffen. Die Entscheidung: Leben. Der Anfang war schwer, sehr schwer sogar. Ich habe lange gebraucht, Wochen und Monate, um mich selbst aus diesem Kokon des grauschlierigen Elends, in dem ich so lange gefangen war, zu befreien. Es war ein mühseliger Kampf, ein kräftezehrendes Strampeln, aber ich hatte diese Entscheidung getroffen. 2008 kam leichtfüßig in mein träges, traumloses Dasein gehüpft, nahm mich bei der Hand und ließ mich hochleben, weil jede Faser meines Körpers danach gierte.



Beziehungen sind mein Leben. Und nachdem ich so lange mit mir allein gewesen bin, musste ich hinaus in die Welt und allen verkünden, dass ich wieder da bin, dass ich noch lebe, dass ich wieder mitmachen will. Jeder Anruf und jedes Treffen waren kleine Wunder, die mich mit offenen Armen empfingen. Und neben meinen alten Freunden und Bekannten, gab es auch ein paar neue Menschen, die einfach in mein Leben spazierten und zumindest für eine kleine Weile einen Platz einnahmen, der für den Moment genau richtig und wichtig war.

Mein Vater ist für mich wohl die wichtigste Person in meinem Leben. Ich bin ihm so dankbar für alles. Besonders im ersten halben Jahr, wie auch in den Jahren davor, war er ständig um mich herum, rief fast täglich an, redete mir gut zu, nahm mich mit ins Kino, ins Café, in den Garten, backte mir Pfannkuchen und Kaiserschmarrn und zeigte mir unermüdlich, wie sehr und wie grenzenlos er mich liebt. Auch wenn die Beziehung zu seiner Frau unseren Vater-Tochter-Frieden zur Zeit auf eine sehr harte Probe stellt, wissen wir doch, wie sehr wir miteinander verbunden sind und dass wir beide nicht ohne einander können und wollen.

Und dann gab es noch die Geschichte mit meiner Mutter. Nachdem wir praktisch zwei Jahre lang keinen Kontakt miteinander hatten, schien plötzlich alles ganz einfach. Als ob die Zeit gekommen wäre. Eine Karte, ein paar Emails, ein Anruf, ein Treffen. Wir sind vorsichtig und lieb miteinander umgegangen, geben uns Mühe und es scheint gar nicht so schwer zu sein, gemeinsame Stunden zu verbringen, ohne ständig auf der Hut vor neuen Kränkungen sein zu müssen. Ich bin froh, dass es so gekommen ist, denn ich liebe meine Mutter, trotz der Gemeinheiten, die sie mir früher angetan hat.

Es war auch ein anstrengendes Jahr. Ein Jahr, das ich brauchte, um mich von den Qualen der letzten Jahre zu erholen. Zeit voller Aufmerksamkeit von mir für mich. Die Türkei und London, Ausstellungsbesuche, Museen, Galerien, Kino, Vorträge. Stunden, in denen ich schweigen und trotzdem meine Umwelt wahrnehmen konnte. Es war die Zeit der Entscheidungen und der Taten. Ich habe mir eine Therapeutin gesucht und mich wieder von ihr getrennt. Ich habe den Kloppitreff gesucht und gefunden und bin eine der Personen, die ihn auch heute noch zusammenhält. Ich habe wieder angefangen zu bloggen und viel Spaß am Schreiben gehabt. Ich habe einen Sport gefunden, dem ich vollkommen verfallen bin und der mich glücklich macht.

Zurück ins Leben, auch in Herzensangelegenheiten. Ich habe wieder für Männer schwärmen können. Ein Zustand, von dem ich dachte, dass ich ihn nie wieder erleben würde. Aber gleich zu Beginn des Jahres kam der Lieblingskollege daher und ich habe ihn umschwärmt und verehrt, dass es eine wahre Freunde war. Im Nachhinein bin ich ziemlich sicher, dass er es nicht einmal bemerkt hat, denn in all dem Wunschdenken, waren meine Annährungsversuche wohl doch so dezent, dass ich sicher gehen konnte, nicht plötzlich mit seinem Interesse konfrontiert zu werden.

Und dann platzte zu guter Letzt auch noch der Philosoph in mein Leben und verdrehte mir den Kopf. Er steht dabei nicht nur für eine Person, ein Individuum, sondern auch für eine Leidenschaft, die für mich einen großen Stellenwert besitzt. Er hat das kleine schlafende Dornröschen in mir geweckt, ein Begehren, für das es dieses Jahr nur einen ganz kleinen Platz in meiner Fantasie gab. Aber es ist aufgewacht und das ist die Hauptsache.




Ich bin zurück. Ich lebe wieder. Es ist ein Gefühl, als sei ich wieder ein Ganzes. Das Äußerliche und das Innerliche haben sich wieder übereinander geschoben, auch wenn eine Menge Narben zurückgeblieben sind.

Sieh dich vor, 2009, ich komme!


 

Mittwoch, 31. Dezember 2008

2008.
Ich habe dich geliebt und du hast mich geliebt. Danke!


 

Mittwoch, 31. Dezember 2008

Blinddate-01 findet noch im Jahr 2008 statt, weil es einfach Zeit wird und weil es dieses Jahr verdient hat. Taten statt Warten. Be young, be foolish, be happy. Der Kandidat drängelte schon eine ganze Weile und so kam er mir als Ablenkung gegen philosophische und schlaksige Gedanken gerade recht. Als Begleitung für einen Abend in meiner früheren Heimat, wo die Cocktails noch bezahlbar sind. Außerdem wollte ich überprüfen, ob ich eines meiner Vorurteile anschließend über Bord werfen könnte. Dass trotz mangelhafter schriftlicher Kommunikationskompetenz ein toller und interessanter Mann zum Vorschein kommen kann.

Er sitzt schon da, lächelt mich an, steht auf und begrüßt mich. Tatsächlich ist er 14 cm größer als ich und das will schon etwas heißen. Für einen Moment verschlägt mir sein attraktives Äußeres die Sprache. Den nehme ich, denke ich für einen kurzen Moment und muss dann grinsen, weil die Optik für mich nie ein Grund für oder gegen eine Beziehung gewesen ist. Und Sex will ich schließlich nicht, jedenfalls nicht sofort und schon gar nicht einmalig. Trotzdem bin ich angenehm überrascht.

Wir reden, können ein bisschen zusammen lachen, diskutieren und auch ernstere Themen anschneiden. Ich spüre schnell, dass er ein grundsolider, freundlich-netter und gutmütiger Mensch ist, mit dem es das Leben bisher gut gemeint hat. Ein Mensch, der noch nicht viel über Höhen und Tiefen im Leben nachdenken musste. Unser Gespräch stört es nicht, aber etwas anderes stört ganz gewaltig. Denn zwischendurch - und leider gibt es mehrere davon - sagt er ein paar richtig dumme Sachen. Nicht nur geplapperten Schwachfug, den man aus Nervosität daher brabbelt, nein. Sachen, die man in seinem Alter nicht mehr sagt, wenn man klar und reflektiert denken kann. Schade auch. Mein Vorurteil hat sich bestätigt.

Auf dem Heimweg bin ich froh. Weil der Abend einfach und unkompliziert war. Weil ich einfach und unkompliziert war. Weil ich gemerkt habe, dass er mich nett findet und ich meine biestigen Gedanken im Zaum halten kann. Weil es ein guter Anfang für eine neue Zeit ist. Weil ich jetzt wieder weiß, dass ich nicht gleich den Erstbesten nehme, der des Weges kommt. Weil irgendwann ein Deckel auftauchen wird. Oder ein Topf. Oder so.


 

Dienstag, 30. Dezember 2008

Frau Spieß ist ins normale Leben zurückgekehrt. Knoten rausgeschnitten, Chemotherapie, Reha. Ratzfatz ging das.

"Geheilt", behaupten die Ärzte.
"Hoffentlich", sagt Frau Spieß.
"Bitte", denke ich.

Das Jahr neigt sich dem Ende zu und wir lauschen der Klavierspielerin in der anderen Ecke des Raumes. Kaffee und Torte werden gebracht. Sonntagsstimmung zum Jahresende.

"Was ist mit dir?" unterbreche ich schließlich die Stille am Tisch, aber Frau Spieß sitzt da, schweigt weiter und schaut wie ein zerrupftes Vögelchen ins Leere. "Alles scheiße?", frage ich vorsichtig und sie nickt ergeben, während sie plötzlich hektisch in ihrer Tasse rührt.

Frau Spieß ist alt. Jedenfalls denkt sie das. Sie ist der festen Überzeugung, dass jetzt nichts mehr kommt. Bei ihrer Lebensweise könnte sie damit durchaus recht behalten. Sie erzählt, dass sie sich eine Wohnanlage für Senioren angesehen hat. "Bist du dafür nicht ein bisschen zu jung?", frage ich in mühsam neutralgehaltenem Tonfall. Sie ist es tatsächlich, man darf erst ab 60 dort einziehen. Ich schüttele innerlich den Kopf. In Gedanken vergleiche ich sie mit meiner Mutter und wundere mich, wie unterschiedlich Menschen altern können.

"So geht das nicht weiter", sage ich schließlich im Lehrerinnentonfall, denn manchmal hilft nur konsequente Strenge. Frau Spieß nickt mit flehendem Blick. Ich erzähle ihr von Ehrenamtlichenbörsen und vom Großelterndienst, von Nachbarschaftsheimen und Sportangeboten, von Kursen an der Volkshochschule und allerlei anderem Kram. Sie hört zu, erst kopfschüttelnd, dann mit langsam erwachendem Interesse. "Eine Aufgabe wäre vielleicht gar nicht so schlecht", sagt sie dann und fragt noch die ein und andere Sache, so dass ich merke, dass sie tatsächlich meinen Worten gelauscht hat. Sie fängt Feuer, ich merke es genau. Wir beginnen auszuwählen und zu planen.

"Da trinken wir einen drauf", sagt sie eine Stunde später und bestellt zwei Prosecco. Und ich nehme mir vor, sie im Januar so lange zu trietzen, bis sie wirklich eine Sache in Angriff genommen hat, wenigstens eine, damit sie endlich mal rauskommt aus ihrer piefigen Butze. Herrje, das habe ich doch selber alles durch, das will ich nicht bei anderen sehen.