Montag, 9. März 2009

Mein Vater kann sich nicht von der bösen Frau lösen. Lieber lässt er sich kaputt machen, lieber lässt er sie das Kind kaputt machen. Immer wieder nimmt sie Anlauf, tritt und schlägt nach ihm und er federt jammernd zurück, wie ein elastisches Gummiband - ein elender Kreislauf. Nie hat er ihr eine Grenze gesetzt. Und deswegen gibt es jetzt auch keine Gnade, keinen Respekt, keine Würde.

Ich verstehe es nicht. Ich verstehe ihn nicht. Und ich will auch nicht verstehen, will kein Verständnis haben, denn irgendwann muss doch der Geduldsfaden reißen, die Hoffnung aufgegeben, ein Schlußstrich gezogen werden. Und wenn es nur deshalb ist, weil ein Kind geschützt werden muss.

Stattdessen ruft er mich an. Täglich zwei Mal, drei Mal, ohne etwas zu sagen zu haben. Er spricht ein paar Sätze, fragt, wie es mir geht, erzählt die neueste Story von ihr, klagt sein Leid, informiert mich über Alltägliches und legt dann hektisch, ohne eine Verabschiedung, auf. Ich habe zu diesem Thema alles gesagt. Ich habe keine Worte mehr für ihn.

Er ist nicht in Ordnung. Er ist wirr. Und obwohl ich immer gedacht habe, dass sie irgendwann in der Klapsmühle landen wird, habe ich furchtbare Angst, dass es doch mein Vater sein wird, der als Erster einknickt.


 

Freitag, 23. Januar 2009

Er verliert einfach nicht seinen Reiz. So heftig ich auch mit dem Philosophen streite, so oft wir für gefühlte Ewigkeiten den Kontakt abbrechen, so viele Gemeinheiten wir uns auch an den Kopf werfen. Er taucht auf und ab, ist nah und fern, ist innig und fremd. Aber nie schaffe ich es, ihn ganz loszulassen, zumindest nicht in Gedanken. "Was willst du eigentlich von mir?", will er immer dann wissen, wenn wir uns wieder nahe kommen und stellt damit jedes Mal die schwerste aller Fragen. "Reden", sage ich ernst und er lacht.

Als ich ihm vom ersten Treffen mit dem Fremden erzähle wird er ungerecht und gemein. Wir brauchen eine Pause und Zeit zum Nachdenken, denn plötzlich stört jemand unsere virtuelle Idylle. Der Fremde nimmt einen Platz zwischen uns ein, ohne wirklich präsent zu sein. Aber dann folgt eine neue Annährung. Dieses Mal sind wir beide vorsichtig. Er fragt nach und ich erzähle, er hört geduldig zu, bis ich geendet habe. "Warum verschwendest du dich an so einen Mann? " Die Worte dröhnen in meinen Ohren, obwohl ich sie nur schwarz und weiß auf meinem Monitor geschrieben sehe. Ich schlucke schwer, denn in seinen Worten schwingt einzig und allein Besorgnis mit, keine Eifersucht. Er hat begriffen, dass ich mich einem Mann hingebe, der sich nicht für mich interessiert, für den ich eine unter vielen bin, mit der er das macht, was er mit allen macht. "Lass mich", sage ich brüsk, denn ich will nicht darüber reden, will nicht darüber nachdenken, will nicht die Schmerzen spüren, die mit diesem Gedanken verbunden sind. "Bist du dir nicht zu gut für sowas, Mädchen?", fragt er sanft und legt den Finger erneut in die Wunde. "Nein", gebe ich schnippisch zurück, "ich bin mir für nichts zu schade." Die Tränen in meinen Augen kann er nicht sehen und vielleicht beginnt er deshalb, über die Dialektik von Herr und Knecht zu sprechen, davon, dass ich den Fremden für meine Zwecke benutze. Der Philosoph beschreibt und charakterisiert in groben Zügen diese schmachvolle Verbindung. Es tut weh, aber ich kann an einem schwachen Tag wie diesem nichts erwidern, was der Sache die Schwere nehmen könnte. "Hör auf", will ich schreien, aber im Chat kommt meine sich überschlagende Stimme nicht bis zu ihm durch, so dass ich abwarten muss, bis er von selbst das Thema wechselt.

"Du wirst uns besuchen kommen", sagt er schließlich und ich nicke und tippe ein "ja" in das Dialogfenster. Ich will ihn endlich sehen, ihn umarmen, mich von ihm drücken lassen, mich mit ihm betrinken und reden bis zum Umfallen. Fotos und Webcam, Telefon und Chat. Das ist wenig, wenn man jemanden mag und ich kann diesem virtuellen Geschwurbel eher wenig abgewinnen. Ich will lebendige Menschen, will Gesichter, strahlende Augen, gekrauste Nasen, lachende Münder, Hände, die ich in meinen halten kann, Körper, die zum Anfassen echt sind. Ich mag diese virtuelle Identität nicht. Irgendwann muss man seinem Gegenüber wirklich nahe sein, um Nähe zu spüren.

"Wärst du sauer, wenn nichts passiert?", will er wissen. Tatsächlich denkt er auch nach Monaten noch, ich wäre ein sexgeiles Ungeheuer, das nur auf die nächste Gelegenheit wartet sich flachlegen zu lassen. Dabei will ich doch nur endlich seine weiche Seite kennelernen. Aber ich weiß, dass es bei solchen Begegnungen immer um Erwartungen geht, von denen man fürchtet, sie nicht erfüllen zu können. Das geht mir so, das geht ihm so und allen anderen wohl auch.


 

Sonntag, 4. Januar 2009

Ich bin nicht dick!
(Obelix)

Der neue Körper und meine Wahrnehmung vertragen sich nicht gut miteinander. Gut, dass es eine Freundin gibt, die über das Mistvieh bescheid weiß, die ich als glaubwürdig Kritikerin einstufe und die mir ab und zu mal die Meinung sagt.

Trotzdem: Muss man sich beim Sex unbedingt ausziehen?


 

Montag, 15. Dezember 2008

Die angekündigte Sonntagsführung im Haus der Kulturen klingt spannend. Sie verspricht durch interaktive Wahrnehmungsübungen zu zeigen, wie dünn die Linie ist zwischen dem, was als "normales" Verhalten angesehen wird, und denen, die als schizophren, depressiv oder paranoid gelten. Ah ja, mal gucken.

Zu Beginn erzählt der (Ex?-)Depressive etwas über seinemeine Krankheit. Von seinem ersten Satz an merke ich, wie mich die Worte packen und auch wie schwer sie wiegen - in meinem Kopf und meinem Herzen. Ich hänge an seinen Lippen, obwohl ich all das Gesagte längst weiß. Vielleicht, weil ich bisher so wenig über diese Gefühle gesprochen habe. Damals, weil ich nicht konnte, heute, weil ich diese Zeit am liebsten ungeschehen machen würde. Und auch, weil mir die Erinnerung in schonungsloser Brutalität vor Augen führt, wie krank ich gewesen bin, wie hilflos, schwach, kraft- und mutlos. Ein Ich, das mir fremd und doch so vertraut ist. Ein Ich das nicht ich bin.

Die Übung. Ich sitze in einem Raum, umgeben von vollkommener Schwärze. Ich soll an all das denken, was ich in meinem Leben nicht geschafft habe, worin ich versagt habe. Kein Mann, kein Kind, kein Selbstbewußtsein im Job, deshalb auch zu wenig Geld, kein vorhandener Ehrgeiz, familiäre Konflikte. Die Schlagworte ziehen an mir vorbei wie ein innerer Film der sich abspult - ohne Stopptaste. Ich sitze zusammengesunken auf einem Stuhl, die Beine übereinandergeschlagen, den Rücken nach vorn gebeugt mit hängenden Schultern. Dann füllt sich der Raum mit Musik, dunkel und heftig, und schon nach wenigen Takten laufen mir die Tränen über die Wangen, überwältigt mich dieses Gefühl der grenzenlosen Traurigkeit, der grenzenlosen Hoffnungslosigkeit, genau wie damals. Erschrocken richte ich mich auf, strecke die Schultern, stelle die Beine nebeneinander, verschränke die Hände vor der Brust und versuche zu grinsen und die Gedanken zu verscheuchen, denn alles ist gut, oder zumindest gut genug, um nicht in die Dunkelheit zurückzukehren.

Eingeholt, denke ich, als ich verschreckt wieder in die Helligkeit stolpere. Was für eine unerwartete Entführung in die Vergangenheit.


 

Dienstag, 29. Juli 2008

Ein (be-)ständiger Wechsel zwischen Wollen und Nichtwollen, zwischen Zuneigung und Abwehr, zwischen Gut sein und Böse sein. Das Herumspringen macht müde, denn es ist anstrengend und zehrt an den Nerven. Was will ich, was will ich nicht? Was kann ich, was kann ich nicht? Was muss ich, was muss ich nicht? Ich finde keine Antworten auf meine Fragen, denn was gerade noch mit einem deutlichen "ja" beantwortet wurde, ist in der nächsten Sekunde ein vehementes "nein".

Früher wusste ich was ich will. Eins, zwei, drei, konnte ich aufzählen, was das Herz begehrt. Heute liegt alles im Nebel, taste ich mich vorsichtig an schemenhafte Umrisse heran, um herauszufinden, was dahinter steckt und um zu überprüfen, ob es wohlmöglich etwas ist, was ich behalten und behüten will. Mit dabei ist die ständige Bereitschaft zur Flucht und ein Übermaß an Misstrauen, das meine Urteile oft hart und manchmal ungerecht werden lässt. Viel gefunden habe ich bisher jedenfalls nicht.

Suchen. Finden. Bestenfalls mich selbst. Aber das ist verdammt schwierig, so ohne Plan.


 

Mittwoch, 16. Juli 2008

Mr. Sweet betritt meine Wohnung und schaut sich um. Er macht ein paar Schritte auf die Wand zu, beugt sich vor und sieht die mit Wäscheklammern an einer Metallschnur befestigten Fotos, Einladungen, Visitenkarten und Bilder an. "Mit Häubchen und Schürze, wie süß", sagt er und wir lachen über mein Lieblingsfoto. Mein Exfreund hat es am Silvesterabend 2002/03 gemacht. Der H. hat besitzergreifend seinen Arm um mich gelegt, während ich verschmitzt mädchenhaft in die Kamera grinse. Die Erinnerung kann ich im Bruchteil einer Sekunde abrufen. Damals fühlte sich alles gut und richtig an und ich sprühte nur so vor Energie und Abenteuerlust. Aber nichts ist für die Ewigkeit.

Mr. Sweet und ich sitzen uns gegenüber und versuchen ein Gespräch in Gang zu bringen. Wir trinken Mädchenbier, während wir Weißbrot in Balsamicoessig dippen und uns Schafskäse, Tomaten und Oliven schmecken lassen. Ich bin verkrampft, mir ist alles zu eng. Ich will nichts von Mr. Sweet und habe das Gefühl, ihm mit diesem Besuch, dieser erlaubten Nähe, ein Versprechen gegeben zu haben.

Er rückt zu mir und zieht meine kalten Füße in seinen Schoß. In mir sträubt sich alles gegen diese Berührung, gegen seine Finger, die sanft meine Haut streicheln. Trotzdem mag ich nicht einfach wegziehen, mag nicht schroff sein, will, dass alles einfach und gut ist. Freunde sein, nichts weiter.

Als ich den restlichen Käse zurück in den Kühlschrank stelle und die Teller abräume, tritt er hinter mich und legt seine Arme um meine Taille. "Ich könnte mir vorstellen..." beginnt er leise in mein Ohr zu flüstern und ich drehe meinen Kopf verlegen zur Seite, will nichts hören, will nichts sagen, will mich am liebsten in Luft auflösen. Sprich nicht weiter, denke ich im Stillen, bitte, aber er hört mich nicht und beschreibt stattdessen eine Situation, die ich mir nicht ausmalen, die ich nicht erleben will. Er streicht sacht über meinen Rücken. Ich will nicht angefaßt werden, nein, ich will nicht berührt werden. Lass mich in Ruhe, denke ich ganz laut und jetzt scheint er mich gehört zu haben, denn er sucht seine Sachen zusammen und verabschiedet sich, ohne mich noch einmal anzufassen.

Mr. Sweet, es tut mir so leid. Ich wünschte, ich könnte einfach mitspielen, würde die Aufregung und das Neue genießen, anstatt stocksteif und voller Entsetzen zu versteinern. Es passt nicht, es geht nicht, obwohl du so ein toller Mensch bist. Hübsch und klug und witzig. Aber ich kann nicht. Ich kann einfach nicht.


 

Dienstag, 8. April 2008

Wieder unterwegs. Allerdings nur mit halber Kraft.


 

Montag, 4. Februar 2008

Nur einen Schritt bräuchte es, um in die tobende, große, weite, laute und bunte Welt einzutauchen.

Sobald ich wieder zu Hause sitze, ist alles ganz weit weg und ich bin in Sicherheit. Nur der Zigarettenrauch in Haar und Kleidung erinnert an den Kurztrip in die Realität.