Sonntag, 8. März 2009

Ende Januar fällt mir bei einem der einschlägigen Treffen ein Neuer ins Auge. Groß, nett anzuschauen, mit einem sympathischen Gesicht, schönen Lippen und lachenden Augen. Auf jeden Fall gebildet, bestimmt Akademiker, vermutlich aus Mitte oder Prenzlauer Berg. Vielleicht ein bisschen steif, aber das kann ich auf die Entfernung schlecht beurteilen. Ich lächele ihm vom anderen Ende des Tisches aus zu, erst zweimal hintereinander und später noch einmal, bis ich mir sicher bin, dass er sich mein Gesicht eingeprägt hat. Als wir uns vier Wochen später wieder begegnen, frage ich ihn, ob er mit mir ausgehen will. Er lacht, nickt, schlägt eine Party vor. So einfach geht das. Und ich bitte im Stillen, dass er keine Parteimitgliedschaft oder ähnliche Leichen im Keller hat.

Unser Verabredung beginnt, entgegen meiner Prinzipien, im Stammcafé an der Ecke. Wir wollen uns vor dem Ausgehen kennenlernen, ganz seriös. Irgendwann kommt das uns verbindende Thema auf und er rückt mit der Sprache heraus: Er ist devot. Scheiße, denke ich in diesem Moment und im nächsten Augenblick ist es mir auch schon egal, denn das Gespräch dreht sich um die eigentlich wichtigen Themen im Leben. Seine Trennungssituation, die Kinder, Schmerz und Verlust, unverdaute Kränkungen und die Schwierigkeiten der Diplomatie, geplatzte Träume und aufgegebene Hoffnungen. Seine Art zu Erzählen zeigt, dass er ein guter Mensch ist, dass er Anstand hat und Arsch in der Hose. Was ich sehe und höre gefällt mir. Seine Trauer ist sehr gegenwärtig, aber sie schreckt mich nicht und später, auf dem Weg zur Party, nimmt er mich bei der Hand, als wäre es eine Selbstverständlichkeit.

Der Abend ist magisch und vollkommen anders, als ich es von früher kenne. Statt hässlichem Mittelalterambiente, schaurigen SM-Möbeln und prolligen Lederwestenträgern, bewegen sich schöne Menschen in fantasievollen Kleidern zu leiser Hintergrundmusik in offenen, hellen Räumen. Sanne und der Goldjunge sind auch gekommen, wie verabredet, sind meine Vertrauten in einer fremden Umgebung und geben Sicherheit. Mich durchströmen unzählige Gefühle, während ich mich durch die Nacht treiben lasse: Freiheit, Glück, Lebendigkeit. Ich beobachte, begehre, bewundere, spüre, rieche, fühle, lache, küsse und lasse mich in fremde Arme fallen. Ich blicke in Gesichter voller Begehren & Lust, voller Erfüllung & Zufriedenheit und wünsche mir, dass die Zeit stehen bleibt.

Es ist spätfrüh. Meine Gedanken flattern durch den Raum, springen hierhin und dorthin, während ich mich selbst beobachte. Ich bin mir fern, bin mir nah, habe das Gefühl, mich neu zu entdecken, neu zu entwerfen, neue Wege zu gehen, in jeder Beziehung. Ich blicke auf mich hinab, wie ich erschöpft und müde daliege. Der Kopf des Goldjungen ist an meinen gelehnt, Wange an Wange, so dass ich bei jedem Blinzeln seine Wimpern spüren kann. Wir haben unsere Hände verschränkt und er streichelt mit seinem Daumen meinen Zeigefinger, während er mir leise eine Geschichte erzählt. Am anderen Ende des Sofas sitzt meine Verabredung, dieser gute und nette Mensch, dem ich meine Beine auf den Schoß gelegt habe. Mit sanften Fingern malt er Muster auf die zarte Haut, die zwischen den halterlosen Strümpfen und dem Slip weiß schimmernd hervorsticht. Geborgenheit.

Ich will diese schöne Nacht nicht enden lassen, nehme den großen Mann mit nach Hause, wo wir weiterreden, weiterküssen, weitermachen. Ich merke sofort, dass er nicht aus der Szene kommt, denn er schert sich nicht um Rollenklischees. Er ist spielerisch, ist erfrischend, ist aktiv, passiv, wunderbar und bringt mich zum Lachen. Er kann nicht genug kriegen von meiner Haut, meinen Küssen, meinen Händen, meinen Worten. Es tut so gut. Es heilt. Eine lange Nacht ohne Schlaf, die rasend schnell vergeht.

Er muss nach Hause, bevor die Kinder erwachen. "Sehen wir uns wieder?", fragt er, während wir dem Vogelgezwitscher lauschen und das fahle Morgenlicht durch den Vorhangspalt schimmert. Ich nicke lächelnd, während er zwischen Kissen, Decken und Laken seine Kleidung zusammensucht.

Aber selbst wenn es kein Wiedersehen gibt, war dieser Abend, war diese Nacht so wunderschön, dass ich den Rest des Tages grinsend durch die Gegend laufe und Mimi mittags im Café bei meinem Anblick in schallendes Gelächter ausbricht und mir einen Vogel zeigt.