Samstag, 21. März 2009



Der Fremde war mein Jahresbeginn 2009. Eine Begegnung reichte aus und es folgte ein Monat ohne Kompromisse, ohne Zaudern, ohne Zweifel. Ich konnte ich mich seinem Charisma nicht entziehen, wollte mich auch nicht entziehen. Stattdessen erlebte ich eine mir vollkommen unbekannte Hingabe, die mir beim nochmaligen Lesen meiner eigenen Texte und der entsprechenden Erinnerungen die Knie weich werden lässt.

All das kam überraschend und unerwartet. Vielleicht, weil ich eine Liaison wie mit ihm, nie für möglich gehalten hatte. Eine Fantasie ist eine Fantasie. Aber er erschien, pünktlich zum neuen Jahr, kraftvoll, selbstsicher und charmant, und verkörperte, wonach ich nie wirklich gesucht, was ich aber so sehr ersehnte habe. Ich saß ihm gegenüber, blickte in seine blauen Augen, starrte auf seinen lächelnden Mund und wusste, dass ich mich ihm hingeben wollte. Wenn er mich denn wollte.

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Im Februar kam die Schwere. Er hatte keine Zeit, musste arbeiten, hatte viele Verpflichtungen, privater und beruflicher Art, während ich wartete und wartete, geduldiger als jemals zuvor. Ich schwankte von sehnsüchtiger Verzweifelung zu einem Allesscheißegal-Trotz, von gekränkter Eitelkeit zu devoter Ergebenheit. Ich wollte ihn wiedersehen und musste warten. Es war hart und ich litt.

Mitte März sollte der Stress vorbei sein und Mitte März meldet er sich, entgegen aller Freundinnenprognosen. Mein Herz rast, als ich seine Mail in meinem Postfach sehe. Er schreibt, dass er mich in den nächsten Tagen erwartet. Ich lese seine Zeilen wieder und wieder, brauche Zeit, um innerlich Abschied zu nehmen und Worte für eine Antwort zu finden. "Es handelt sich um eine akute Herzensangelegenheit", schreibe ich und fasse damit meinen momentanen Zustand zusammen. "Das Herz hat absoluten Vorrang", schreibt er zurück, aber auch, dass ich mich gerne wieder bei ihm melden kann - irgendwann später. Und ich spüre, wie seine Worte "ganz herzlich und viel viel Glück" erst in meinem Kopf, dann in meinem Körper ankommen, merke, wie mir die Tränen in die Augen steigen, weil ich froh bin über diesen schönen Abschied, der mir so sehr entspricht.

Auf Wiedersehen, Fremder. Und danke.


 

Sonntag, 8. Februar 2009

Während der letzten Jahre habe ich meine Enthaltsamkeit nicht als Verzicht wahrgenommen. Wahrscheinlich habe ich deswegen auch keinen schmerzlichen Verlust gespürt, sondern nur gewusst, dass diese Art von Abstinenz nicht normal ist, nicht gesund ist, ein Gradmesser dafür, wie krank ich bin. Aber mir war alles egal, es war alles dunkel, sinnlos, traurig, einsam, hoffnungslos. Und jetzt, wo mein Leben wieder mit Leben gefüllt ist, spüre ich die Diskrepanz zwischen damals und heute stark wie nie zuvor. Erinnerung die weh tut. Aber eben Erinnerung. Vergangenheit. Jetzt ist es Zeit, nach vorne zu gucken. Denn die Zukunft ist aufregend und gut, ist hell und schön, ist warm und weich und voller Glück.

Das Beuteschema will mich wiedersehen. Schickt zuckersüße SMS. Schickt Emails. Na klar will ich! Die Vorfreude kribbelt aufregend, denn ich bin neugierig auf die Begegnung. Unser erstes Date. Ich will wissen, ob er mir noch immer gefällt, ob ich ihm noch immer gefalle. Ob unsere Zufallsbegegnung nicht nur ein einmaliger Ausrutscher war. Komm doch, wenn du dich traust.

Er kommt, lächelt, nimmt meinen Kopf zur Begrüßung in beide Hände, küsst mich auf die Lippen, zieht meinen Körper an sich. Du machst alles richtig, will ich ihm ins Ohr flüstern, aber meine Kehle ist trocken und ich bringe kein Wort heraus. Wir reden nicht viel. Stattdessen küssen wir. Unser Treffpunkt ermöglicht es, dass wir nebeneinander auf einer Couch sitzen und ich meine Schenkel quer über seine Beine schlagen kann. Ganz nah. Ich liege in seinem Arm. Für Ewigkeiten. Es fühlt sich nach Pärchen an, ich kann es nicht leugnen. Es fühlt sich an, wie das, was ich haben will, auch wenn wir nur so tun als ob. Er küsst meine Stirn, Augen, Nase, Mund, mein Dekolleté, den freiliegenden Teil meiner Schultern. Er streicht sanft meinen Arm hinauf und hinunter bis mein ganzer Körper mit Gänsehaut bedeckt ist. Er legt seine Hand gegen meine und wir verschränken unsere Finger ineinander. Er berührt meinen Körper, fährt mit den Fingerspitzen die Muster meiner Strumpfhose nach, streichelt meine Wange, immer wieder, schaut mir lächelnd in die Augen, verwuschelt mein Haar, macht mir Komplimente und flüstert mir ins Ohr, was er gern mit mir tun würde.

Es ist sein Bemühen um mich, das mir so gut tut. Sein Begehren. Es ist Seelenheil. Aber dann muss ich ihn bremsen. Mehr kann es momentan nicht geben. Würde ich ihn jetzt mit nach Hause nehmen, würden wir Sex haben. Aber ich will keinen Sex. Ich will Liebe machen. Und soweit sind wir noch lange nicht, falls wir überhaupt jemals bis dorthin kommen.

Mimi lacht sich schlapp als ich ihr mein Vorhaben erläutere. "Dann wollen wir mal sehen, wie lange er das mitmacht." Ja. Das wollen wir mal sehen. "Falls du nicht vorher einknickst", fügt sie glucksend hinzu. Sie traut mir tatsächlich keine Standhaftigkeit zu, die Nuss.


 

Sonntag, 1. Februar 2009

Das Treffen mit dem Fremden kommt auch dieses Mal kurzfristig zustande. Das bedeutet, dass ich auf den Großteil der Vorfreude verzichten und mich außerdem in Geduld üben muss. Wie immer habe ich während der Zeit des Wartens mit heftigen Gefühlsregungen zu kämpfen, die von einem Extrem ins andere schwanken. Während in einem Moment noch Sehnsucht und Verlangen im Vordergrund stehen, ist im nächsten Augenblick konsequente Ablehnung vorherrschend. Aber ich lerne. Ich atme tief durch, lenke mich ein bisschen ab, bewerte die Situation erst, wenn ich wieder klar denken kann. Diese emotionalen Schnellschüsse haben nichts mit dem Fremden selbst zu tun sondern liegen in meiner Natur.

Als ich ihn sehe ist alles gut. Es ist ein bisschen wie heimkommen. Oder ankommen. Im Flur lege ich meine Tasche und meinen Mantel ab und betrete das Zimmer. Das Ritual am Anfang ist immer gleich. Er lächelt mir zu, legt mir eine Decke auf meinen Platz und wir betreten diese andere Welt. Es gibt nur noch das Jetzt, in dem sich trotz Auf- und Erregung eine vollkommene Ruhe in mir ausbreitet. Nur noch Sein. Ich atme die Stille, die mich umfängt, die Konzentration auf ihn & mich, weil es nur diesen einen Moment gibt und kein Platz für andere Gedanken übrig ist. Weil hier, bei ihm, der Raum für einen Teil von mir ist, der sonst nicht sein darf. Dem er ein Zuhause gibt.

Der Fremde balanciert mit großer Sicherheit die Rollen aus, spürt mich, fühlt meine Bedürfnisse und meine Verwundbarkeit, fragt nach meinen Wünschen und packt meine Seele an der Stelle, wo sie am zerbrechlichsten ist, mit starken sanften Händen, behutsam und vorsichtig, aber auch unnachgibig und fordernd. Er lässt nicht locker, wenn es sein muss. Er lässt locker, wenn es sein muss. Mein Vertrauen in ihn ist vollkommen.

Ob ich sauer war, will er wissen. Er meint die Zeit, zwischen den beiden Treffen, in denen ich ihn mehrmals um Termine gebeten habe. "Ja", sage ich ehrlich und wir reden über Eifersucht auf Menschen und auf die mit anderen verbrachte Zeit. Aussprechen was schmerzt, was weh tut, auch wenn es sich nicht ändern lässt.

Dieses Mal will ich nicht reden, will nicht denken, will nur spüren. Ich schließe die Augen, will nicht einmal sehen, weil ich mir dann selbst peinlich bin. Aber er lässt es nicht zu, denn es geht auch darum, Dinge bewußt zu tun, sich für sie zu entscheiden, wahrzunehmen, nachzuspüren, mit allen Sinnen. Sich all den widerstreitenden Gefühlen im eigenen Innern zu stellen. Zu seiner eigenen Leidenschaft zu stehen. Überhaupt: L e i d e n schaft.

Zum Glück redet er. Am liebsten würde ich all seine Worte irgendwo speichern, aufbewahren, damit ich sie später noch einmal anhören kann. Er fragt, was ich am Vorabend gemacht habe und ich muss lachen, denn es war der Abend mit dem Beuteschema, wie passend. Als ich ihm den Namen des Etablissements nenne wird er aufmerksam, lacht, erzählt. Der Fremden kennt mich mittlerweile ein bisschen, benutzt seine Fragen geschickt, spielt mit mir und ich nicke und erröte und liebe ihn für seine Aufmerksamkeit. Offenheit und Ehrlichkeit in allen Bereichen. Das gilt für ihn und für mich. Das ist immer das Beste. Die Basis.

Beim Abschied bin ich glücklich. Sicher. Die Ruhe bleibt auch danach noch lange in mir. Dieses Treffen war eine klare Entscheidung für ihn. Ich will mehr. Mit ihm. Und ich weiß, er wird es mir geben.


 

Montag, 19. Januar 2009


I’m only happy when its complicated
And though I know you can't appreciate it

You know I love it when the news is bad
And why it feels so good to feel so sad

You wanna hear about my new obsession?
I'm riding high upon a deep depression

(Garbage. I'm only happy when it rains)

Alles ist anders. Wahrscheinlich brauche ich deshalb eine gefühlte Ewigkeit, bis sich die Emotionen in meinem Kopf gelegt haben und ich die Situation mit dem Fremden so lange durchdacht habe, bis sie sich schließlich richtig anfühlt. Die Fluchtendenz ist stark und der Kampf gegen mich selbst ist schwer. Das eine Treffen kann ich vor mir selbst entschuldigen, alles was folgt nicht mehr.

Ich treffe die Entscheidung für ihn. Für mich. Erst danach bin ich in der Lage, den Kontakt erneut aufzunehmen. Ernsthaft und ohne Spielerei, ohne leeres Geschwätz, ohne meine üblichen Testballons. Dafür mit Herzklopfen und ohne Angst vor Zurückweisung. Und ganz richtig, er ist da und hat auf eine Entscheidung gewartet, der schlaue Fremde.

Wir fangen an uns zu schreiben. Ja, ich will ihn wiedersehen. Ich will mehr. Der oberlehrerhafte Verstand wird lernen müssen, dass er mit dieser Art Begierde Frieden schließen muss. Und der Fremde beginnt in seinen Emails meine Sinne aufzupeitschen, einzig und allein mit dem was er schreibt und wie er es schreibt. Was für ein Glück, dass er ein Mann des Wortes ist, dass er so geschickt und klug ist und dass er mich auch ohne seine Anwesenheit berühren kann.



Das Treffen entsteht spontan durch einen glücklichen Zufall. Sobald ich ihn sehe, geht es mir wie bei unseren beiden ersten Begegnungen. Vor mir steht ein Mann, der mich auf fast schon unerträgliche Weise fasziniert. Es fühlt sich an, als würde ich mich in meinem Begehren nach ihm auflösen. Jeder Blick, jedes Lächeln, jedes Wort. Ein Geschenk an mich, von dem er nichts weiß.

Ich habe kein expliziten Vorlieben oder Vorstellungen davon, was ich unbedingt erleben muss. Stattdessen ist da diese Idee eines Gefühls. Es reicht mir vollkommen aus, dass ich weiß, wie es sich anfühlen muss, wenn alles richtig ist. Er fühlt sich an wie meine Idee. Richtig. Ich brauche keinen Kampf mehr. Ich brauche keine lauten Worte, keinen Zwang, keine Drohungen mehr. Ruhe und Hingabe. Zutrauen und Achtung.

Er will, dass ich rede, als die Tränen nicht versiegen wollen. Ich versuche Worte zu finden, für all die Schmerzen, die sich so tief in mich hineingefressen haben. Die Macht dieses Schmerzes habe ich schon mit aller Gewalt über viele Jahre zu spüren bekommen, aber seine Ursachen liegen noch zu einem Großteil im Dunkeln. Diese Trauer macht Angst, weil sie unendlich scheint und weil ich weiß, dass ich mich ihr irgendwann stellen muss. Die Erregung bleibt. Er ist bei mir, ist aufmerksam und sanftmütig, hält mich, bis es wieder gut ist, bis es weitergehen kann, weil sich die Bedürfnisse verschieben lassen.

Aber auch der Verstand ist stark und leistet Widerstand. Er scheint sich von meinem Körper zu lösen und einen Blick auf die Frau zu werfen, die so gar nicht ihrem Selbstbild entspricht. Ich schrecke entsetzt zurück, muss innehalten, will mir am liebsten all das verbieten, will fliehen, obwohl es doch keinen Ausweg vor dem eigenen Ich gibt. Der Fremde fragt, ob ich lieber aufhören will, nach Hause gehen, ausruhen. Nein, will ich schreien, verstehst du denn nicht? Aber ich bleibe stumm und er redet, sagt Dinge, die schrecklich wahr sind und die sich wie ein wärmender Mantel um mein bebendes Herz legen. Dieser Weg ist so gut, so heilsam und der Fremde wird da sein, wenn ich ihn brauche, wenn es schlimm ist und weh tut, weil es nur dann besser werden kann, wenn ich eine Erklärung dafür finde.

Der Abschied fällt mir schwer, aber er muss sein. Auf dem nächtlichen Heimweg kommt die Stille. Eine volle, warme, gute Stille, die ich ganz für mich allein habe. Das Gefühl: wunschlos glücklich.


 

Samstag, 3. Januar 2009

Der Wildfremde kommt mit einer wunderbaren Mail am Morgen des neuen Jahres hereingeschneit. Blinddate-02. Keine 24 Stunden später sitzen wir uns im Café gegenüber und es ist der erste Blick, der jeden möglichen Zweifel durch die Tür in den festgetretenen Schnee hinausfegt. Seine klugen und sicheren Worte brennen heiß und knisternd in meinem Innern und er spürt mein Verlangen, mein Begehren, meine Ergebenheit. Ich erkenne mich selbst nicht wieder. Kein Zaudern und Zagen, keine Unsicherheit, keine Ausflüchte. Nur mein absolutes Wissen, dass es genau dieser Mann ist, dem ich mich anvertrauen will und dem ich mich zumuten werde.

Seine Stärke ist meine Schwäche. Er wird nicht einknicken, wenn ich ihm meine verdorbene und angeschlagene Seele in die Hände lege. Selten war ich mir einer Sache so sicher.

Es bleibt eine Aufgabe & ein Angebot, Herzrasen, wacklige Beine und ein hundertprozentiger Mangel an klaren Gedanken. Was für ein Glück.


 

Donnerstag, 25. Dezember 2008

Der Schlacks nervt am Heiligen Abend. Wir waren für den ersten Weihnachtsfeiertag verabredet, zumindest dachte ich das. Nun stellt sich heraus, dass er irgendwie nur so halb kann, zwischendrin. Fairerweise erinnere ich mich später, dass die Sache noch nicht richtig festgeklopft war, dass ich ihm noch eine definitive Zusage hatte geben wollen. Also bin ich selber Schuld am Vermurksen und es ist eine Mischung aus Enttäuschung und Ärger, die mich innerlich nörgelig werden lässt. Aber warum einfach, wenn es auch kompliziert geht - ich kenne mich doch.

"Lass uns nachher treffen", schreibt er schließlich, aber in der Heiligen Nacht treffe ich meine Mädchen und davon wird mich kein Mann der Welt abhalten, nicht einmal eine dringend ersehnte Knutschoption. Nach einer Menge Hin und Her biete ich ihm an, uns Gesellschaft zu leisten, und schicke forsch eine Frühstückseinladung für den anschließenden Morgen hinterher. Er ist am anderen Ende der Stadt, es ist sehr spät, er lehnt ab. Ich merke, dass ich drängele, ihn sehen will, ihm hinterherrenne, ihm nahe sein will, mich anbiete. Schlampe, denke ich bei mir und muss dann doch wieder grinsen, weil es auch eines dieser Gefühle ist, die ich so lange vermisst habe. "Treffen fällt also komplett aus?" sende ich eine letzte Frage samt schnippischem Unterton in seine Himmelsrichtung und schalte dann das Handy aus, damit der Rest des Abends den Mädchen und den Cocktails und den vielen Geschichten des Lebens gehört.

Die Nacht ist lang und als ich endlich im Bett liege, kann ich nicht schlafen. Reizüberflutung. Die Gedanken drehen sich in meinem Kopf. Um die verzweifelten Tränen meines Vaters am Nachmittag, wegen der Frau, die ihm so schrecklich zusetzt. Um meine Sehnsucht nach dem Philosophen, der so weit weg ist, unerreichbar und unantastbar. Um meine Mutter, die am Telefon zum ersten Mal seit langem anfängt zu nerven, weil nicht alles nach ihrem Willen läuft. Um meine Tante, die beim Bescheren einen kleinen Koller kriegt, weil ein bestimmtes Weihnachtslied zweimal hintereinander gespielt wird. Um die kleine Miss, weil sie nicht dabei ist und die mir so sehr fehlt an diesem besonderen Tag.

Nach vier Stunden Schlaf beende ich die Nacht. Beim Kaffeekochen kommt eine SMS: "Nicht beleidigt sein. Komme um 23 Uhr und übernachte bei Dir. Was denkst Du?" Ich spüre diese verrückte Mischung aus Übermut und Erleichterung, aus Überforderung und Anspannung, aus Angst und Vorfreude. Ich kann nicht klar denken. Mir ist alles zuviel, zu unspontan, zu nah, zu direkt und doch will ich ihn hier haben, will nach Jahren (oh Gott!) sehen, wie das eigentlich ist mit dem Knutschen und jemandem körperlich nahe zu sein. Ich sage zu. Und muss lachen, als noch ein "Schön, ich werde in deinem Bett schlafen" hinterher kommt. Als ob er meine Gedanken erraten hätte.


 

Dienstag, 23. Dezember 2008

Der Schlacks kam Ende 2004 und ging Anfang 2005, direkt bevor sich das große Elend in meinem Leben breit machte. Wir chatteten zwei Abende lang und fanden ziemlich schnell eine in der Vergangenheit liegende Gemeinsamkeit heraus. Es war der ultimative Pluspunkt. Ähnliche Sozialisation, viele Gemeinsamkeiten, einfacher Gesprächsfluß ohne viel Klärungsbedarf. Wir fanden uns gut. Es war so einfach.

Wir verabredeten uns. Er brauchte eine CD, die ich ihm ausleihen wollte, also kam er vorbei. Es folgten ein paar Wochen, an denen wir uns täglich sahen und viel redeten. Über früher, Kindheit, Eltern, Schule, über seine Promotion, über meine Arbeit, über Beziehungen, Freunde, Sexualität, Zukunftsplanung, Enttäuschungen und die große Liebe. Den Rest der Zeit verbrachten wir im Bett. Ich war irritiert darüber, wie wenig es mir mit ihm gefiel. Ich fand ihn attraktiv und begehrenswert, aber wir passten nicht zueinander. Egal, dachte ich störrisch, das wird schon. Ich zelebrierte stattdessen das tagtägliche Zusammensein. Das gemeinsame Kochen, Reden, Teetrinken, Herumalbern, Vorlesen, Fernsehen, Toben und zusammen Einschlafen.

Der Knall kam wenige Wochen später. Ich wollte ihn. Er wollte mich nicht. Ich wollte eine Beziehung. Er wollte Freundschaft mit Sex. Ich lehnte ab und wir sahen und hörten uns lange Zeit nicht wieder.

Zwei Jahre später kam sein Anruf unerwartet. Er lebe jetzt in einem anderen Land, würde viel Geld verdienen und hätte gute Aufstiegschancen, erzählte er. Nun sei er in der Stadt und wolle mich sehen. Aber ich saß tief versunken in meinem Schlammpfütze, hörte aus der Ferne seine Worte, erinnerte mich dunkel an unsere Begegnung und erfand eine Ausrede, warum ich keine Zeit hätte und überhaupt.

Google sei Dank bekomme ich seine Mailadresse heute auf den ersten Klick. Ob er Weihnachten in die Stadt kommt. Ob wir uns treffen.

Mein Telefon klingelt nur wenige Stunden später. Der Schlacks ist dran. Das Reden fällt uns noch immer so leicht wie bei unserem Kennenlernen und anstatt uns kurz auf einen Termin zu einigen, reden und reden wir. "Lass uns lieber am Abend treffen, dann haben wir mehr Zeit", schlägt er mein Frühstücksangebot aus und lacht dabei ein bisschen unsicher. In Gedanken schiebe ich meine Verabredungen in eine neue Reihenfolge und sage zu.

"Der Sex war damals mies", erinnert mich Mimi spitz, als ich ihr von der Verabredung erzähle. "Ich würde halt gerne mal wieder knutschen", sage ich und sie nickt zufrieden. Weihnachtsknutschen also. Wenn das kein guter Plan ist.


 

Donnerstag, 11. Dezember 2008

Um mir den Philosophen aus dem Kopf zu schlagen muss eine Alibi-Ablenkung her, denn so geht es einfach nicht weiter. Also habe ich mir die große Community der vereinten Schlägerfraktion mal genauer angesehen. Und weil ich gerade nichts Besseres zu tun habe, muss ich wohl oder übel einen ekelhaft sympathischen Profiltext schreiben. Zum Anlocken. Und weil dann immer noch Zeit ist und momentan sämtliche Sicherungen durchgebrannt sind, gibt es noch ein Foto obendrauf. Herz zu verschenken, denke ich dabei grinsend und lache über mich selbst.

Innerhalb von zwei halben Abenden habe ich so viele Mailkontakte gesammelt, dass ich mit den Namen schon ganz durcheinander komme. Nicks und Realnamen, Berufe und Berufungen, Hobbys und Vorlieben. Und anstatt im Herzeleid zu schwelgen, frage ich mich, ob es nicht uncool ist, Blinddates mit Männern auszumachen, die in Zehlendorf oder Marienfelde wohnen.

Aber sei's drum. Die Miss ist wieder auf der Pirsch. Eindeutig.


 

Samstag, 29. November 2008

She's got soul my lady
Likes to crawl my lady
All around the floor on her hands and knees
Oh because she likes to please me
(AC/DC - She's got balls)

2008 ist anders. In jeder Hinsicht. Deswegen treibt mich die Neugierde von Zeit zu Zeit wieder in die einschlägigen Communities, wo ich mit alten Bekannten plaudere und mir erzählen lasse, was in den letzten Jahren passiert ist. Ich höre mir an, wer mit wem zusammen ist und wer sich getrennt hat und habe es im selben Augenblick schon wieder vergessen. Befremdet stehe ich am Rand und sehe dem bunten Treiben zu. Ein bisschen wehmütig, ein bisschen neidisch, ein bisschen geringschätzig. Dann drehe ich mich wieder weg und mache mit meinem normalen Leben weiter, das mir in den letzten Monaten unzählig viele Glücksmomente beschert hat, die mit dem ganzen SM-Zirkus nichts zu tun hatten.

In dieser Stimmung kommt der Philosoph daher und beginnt die Konversation im Chat mit einem Kompliment, dem ich nicht widerstehen kann. Warum sollte ich auch. Er ist intelligent, eloquent, beherrschend, stark, intensiv. "Schreib schneller!", tippt er in unser Dialogfenster. "Beende die anderen Gespräche." Ich grinse mit klopfendem Herzen in mich hinein und beende tatsächlich die anderen Gespräche. Er gefällt mir. Nicht, weil er diesen herrischen Tonfall anschlägt, sondern weil er halten kann, was seine fordernde Art verspricht. Intensität. Er knickt nicht ein, auch später nicht, auch nicht am Telefon. Er gibt in anderer Form zurück, was er von mir verlangt und innerhalb kürzester Zeit hat er mich am Haken. In jedem Moment, in dem ich zu Schwanken beginne, in dem ich mich frage, ob wir nicht zu weit gehen, ob ich nicht zu weit gehe, stellt er mich vor die Wahl: "Du kannst jederzeit gehen, es ist deine freie Entscheidung." Er merkt, dass ich keine Stellung beziehen will und beharrt genau deswegen darauf. Es kostet mich unendlich viel Kraft, zu meiner Leidenschaft zu stehen, zu dem, was für mich Reiz und Erregung ausmacht. Ich sitze da, wie vom Donner gerührt, denn er trifft einen Nerv in meinem Innersten, der mir durch Mark und Bein geht, der mir den Himmel auf Erden zu versprechen scheint. Und ich antworte, sage, dass ich es genau so will, übernehme die Verantwortung und bin für einen Moment unsicher, ob ich es nicht zum ersten Mal ehrlich meine.

Er ist hart, extrem und bedient sich einer Konsequenz, die mich Erschaudern lässt und mir die Tränen in die Augen treibt. Er nimmt mich bei der Hand und führt mich an der Grenze des Abgrunds entlang, lässt mich in die Tiefe hinab sehen, erschaudern und für einen Moment demütig zurückweichen. Manchmal, wenn ihm danach ist oder auch nur, um mir zu zeigen wie ernst er es meint, lässt er meine Hand los und mich ins Bodenlose stürzen. Er tut mir weh und ich liege zusammengekrümmt in meinem Bett und warte darauf, dass ich aus diesem Alptraum erwache, der in Wirklichkeit kein Traum ist. Irgendwann kehrt er zurück, in einem Moment, in dem mir die Hoffnung schon entglitten ist, in dem ich Kampfeslust, Wut, Hass und Enttäuschung längst aufgegeben habe. Er kommt und sagt nur: "Steh auf, es geht weiter. Das musst du aushalten können." Ich stehe auf und merke, dass ich es tatsächlich aushalten kann und meine wackligen Beine mich immer noch tragen. Und er ist wieder da, ja, er ist wirklich wieder da, aber mein aufgewühltes Herztoben behalte ich für mich, damit er sich nicht in vollkommener Gewissheit meiner Zuneigung wiegen kann.

Das gefährliche Spiel geht weiter. Tag für Tag. Mit Höhen und Tiefen, mit Nähe und Distanz, mit Macht und Ohnmacht. Seine scheinbare Willkür weckt meine Aufmerksamkeit, zwingt mich zu voller Konzentration bis alle Nerven zum Zerreißen gespannt sind. Es ist die Mischung aus Zuneigung, Angst, Hingabe, Vertrauen und den langen Gesprächen über Alltägliches, die mich süchtig macht, die mir gut tut, die einen perfekten Gegensatz zum Rest meines Lebens darstellt.

Ich bin ihm dankbar. Für seine Zeit, seine Worte, seinen Ernst, seinen Humor, sein Vertrauen, seine unzähligen SMS. Vielleicht kann ich ihm das irgendwann sagen. Zum Abschied oder so.


 

Sonntag, 17. Februar 2008

Ich kann dieses ganze SM-Gequatsche nicht mehr ertragen. Ich höre auf damit, so geht es nicht weiter. Diese blöden Klischees, diese Möchtegern-Demut und das virtuelle Peitscheschwingen.

In Chat-Profilen schmücken sich die grenzdebilen Schwachköpfe mit geklauten Zitaten, ihr Lieblingsbuch ist die "O", Luis Royo ein begnadeter Künstler und dann wird niveauvoll über den heimatlichen Stress mit der Mutti gelabert. In abgeranzten Eigenheimen haben sich alte Kerle samt ihrer Bräute Folterkeller eingerichtet, in denen sie regelmäßig Partys für die "Freunde des Hauses" veranstalten, Buffett mit Buletten und hartgekochten Eiern inklusive. Die Kneipen-Treffs sind trostlos bis deprimierend , die Belegschaft kommt komplett in schwarz, die ganz Verirrten in rot-schwarz. Mann trägt Lederweste über dem Wohlstandsbauch, Frau knapp, am liebsten mit Minirock über den prallen Schenkeln, unten Pumps. In abgedunkelten Kellerbars verhauen schnauzbärtige Kleingärtner irgendwelche abgetakelten Tussen, die in keine normale Disse reinkommen würden und die, die keine abkriegen, lernen das Fesseln wie ein Hobby, damit sie auch mal eine Frau anfassen dürfen.

Nee, ich will das nicht mehr, ich find das eklig und es kotzt mich an. Ich habe das alles so satt, ich scheiße auf den Gothic-Kitsch.

Ab jetzt gibt's nur noch Sex und Gewalt. Ich werde ihm das Herz herausreißen. Soul, Blood n' Guts, dann hat das Heulen wenigstens einen Grund. Fahrt zur Hölle, meinen Glamour mach ich mir selber. Irgendwann.